21. März 2025

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210.000 junge Fachkräfte verlassen jährlich Deutschland – warum unsere klügsten Köpfe auswandern

 

Jedes Jahr verlassen etwa 210.000 deutsche Staatsbürger zwischen 20 und 40 Jahren Deutschland. Besonders alarmierend dabei: Drei Viertel von ihnen haben einen Hochschulabschluss, und die Tendenz steigt kontinuierlich an. Gleichzeitig schrumpft die Zahl der Rückkehrer stetig, berichtet der Tagesspiegel.

Diese besorgniserregenden Trends zeigen aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamts und des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB). Thomas Liebig, Migrationsexperte der OECD, betont die Dringlichkeit der Situation und fordert Entscheidungsträger auf, sich mit der zentralen Frage auseinanderzusetzen: Warum verlassen gut ausgebildete Deutsche das Land – und wie könnte man Anreize für ihre Rückkehr schaffen?

 

Fünf wesentliche Gründe treiben gut qualifizierte Deutsche ins Ausland:

Erstens: finanzieller Vorteil

Viele Hochqualifizierte zieht es wegen besserer Verdienstmöglichkeiten ins Ausland, insbesondere in die Schweiz, Österreich, Großbritannien und die USA. Netto bleiben Fachkräften dort im Schnitt etwa 1.300 Euro mehr im Monat. „Wir können aus unseren Daten sehen, dass trotz höherer Lebenshaltungskosten in Ländern wie der Schweiz mehr vom Gehalt übrig bleibt“, erklärt Liebig. Auch der 29-jährige Architekt Victor Rüder, der in Wien arbeitet, bestätigt: Die Lebenshaltungskosten seien geringer, Gehälter dank Sonderregelungen wie 14 Monatsgehältern deutlich attraktiver. In den Niederlanden wiederum profitieren deutsche Fachkräfte unter bestimmten Voraussetzungen von Steuervergünstigungen.

 

Zweitens: Karrierechancen

Zunehmend treffen junge Menschen ihre Jobwahl primär nach Gehalt und Tätigkeit, während der Standort zweitrangig bleibt. „Wenn ich ehrlich bin, war mir der Ort vollkommen egal“, sagt etwa die 27-jährige Katalin Schreiber, die jetzt für eine EU-Institution in Luxemburg arbeitet. Roman Schulte hebt hervor, dass in den Niederlanden Innovation und Digitalisierung stärker gefördert würden: „In meinem Job in den Niederlanden wird Fortschritt dagegen gefördert statt zurückgehalten.“ Auch Experte Liebig warnt, junge Gründer fühlten sich durch schleppende Digitalisierung in Deutschland ausgebremst.

 

Thomas Liebig, Migrationsexperte der OECD
Thomas Liebig, Migrationsexperte der OECD

Drittens: internationale Erfahrungen

Viele junge Menschen planen zunächst einen zeitlich begrenzten Auslandsaufenthalt, bleiben dann jedoch oft langfristig dort, insbesondere wenn sich ein stabiles soziales Umfeld entwickelt. Je einfacher es für Studierende sei, nach dem Studium vor Ort zu bleiben, desto eher würden diese Fachkräfte auch dort arbeiten, erklärt Liebig. Er fordert deutsche Unternehmen auf, international präsent zu sein, und sieht es kritisch, dass kulturelle Anknüpfungspunkte wie Goethe-Institute geschlossen werden: „Für deutsche Fachkräfte, die bereits länger im Ausland leben, sind diese Einrichtungen ein wichtiges Bindeglied nach Deutschland.“

 

Viertens: attraktivere Arbeitskultur

Gerade junge Menschen wünschen sich mehr Flexibilität am Arbeitsplatz. Roman Schulte beispielsweise schätzt besonders das niederländische Recht auf Homeoffice. Architekt Victor Rüder genießt in Österreich die Möglichkeit längerer Wochenenden durch flexiblere Arbeitszeiten: „Am Freitag ist nach 13 Uhr niemand mehr erreichbar.“ Laut Arbeitsmarktexperte Zimmermann müssten deutsche Unternehmen ihre Arbeitskultur entsprechend attraktiver gestalten.

 

Fünftens: allgemeine Unzufriedenheit mit der Lebensqualität

Die Zufriedenheit in Deutschland sinkt merklich, besonders bei jungen Menschen. Waren 2019 laut Eurobarometer noch 33 Prozent „sehr zufrieden“ mit ihrem Leben, sank der Wert 2023 auf 22 Prozent. Roman Schulte nennt die deutsche „Meckerkultur“ als wichtigen Grund, Deutschland dauerhaft den Rücken zu kehren. Victor Rüder wiederum bemängelt Infrastruktur und das Gefühl fehlender Fürsorge: „Man hat das Gefühl, die Regierung kümmert sich um einen. In Deutschland ist das nicht so.“ Deutschland müsse daher aufpassen, bei der Anziehungskraft für Hochqualifizierte nicht dauerhaft ins Hintertreffen zu geraten. Denn, so warnt Zimmermann: „Deutschland liegt derzeit auf Platz fünf in der Liste der Länder, in die Menschen auswandern.“ Das sei zwar eine gute Position, aber auch der schlechteste Platz, auf dem sich das Land je befunden habe.

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https://www.nius.de/gesellschaft/news/warum-unsere-kluegsten-koepfe-auswandern/357ce3b2-e590-471c-8d2d-128d0e38fc5e