04.05.2017
Die antike griechische Polisdemokratie ruft mit ihrem hohen Grad an bürgerlicher Beteiligung Bewunderung, aber auch Kritik hervor. Die politische Theorie antiker Denker wie Platon und Aristoteles gilt als wegweisend für die Entwicklung der modernen Demokratie.
Die direkte Demokratie des antiken Athen gilt bis heute vielen als bewundertes, nie wieder erreichtes Ideal. Ausdruck der Macht und Bedeutung des antiken Athen ist die Akropolis, der älteste Teil der Stadt. Sie wurde in der Blütezeit der athenischen Demokratie zum Tempelbezirk ausgebaut und ist heute Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. (© akg-images / Album / E. Viader / Prisma)
In den Jahren 508/07 bis 322 v. Chr. herrschte in Athen eine direkte Demokratie mit einer Bürgerbeteiligung, deren Ausmaß von keiner späteren Demokratie wieder erreicht worden ist. Jeder Bürger konnte an der Volksversammlung sowie an den Gerichtsversammlungen teilnehmen; jeder Bürger war befugt, ein Amt zu bekleiden. Gemäß dem Wortsinn des griechischen ta politika, „das, was die Stadt angeht“, war „Politik“ die Angelegenheit des Bürgers in der Polis.
Das ist das bleibende Vermächtnis der griechischen Demokratie, wenngleich aus heutiger Perspektive darauf hinzuweisen ist, dass Frauen, Sklaven und Metöken (d. h. Bewohner ohne Bürgerstatus, sehr oft Fremdarbeiter) nicht als Bürger im politischen Sinne des Wortes galten und deshalb auch von der Beteiligung ausgeschlossen blieben.
Die Demokratie in Athen bildete sich eher langsam, schrittweise, im 7. und 6. Jahrhundert v. Chr. heraus. Die Reformen von Solon im Jahre 594 v. Chr. und von Kleisthenes 508/507 v. Chr. brachen die Macht des Adels und schufen die Grundlagen für die politische Beteiligung breiterer Volksschichten.
Auch die erfolgreiche Verteidigung Griechenlands gegen zwei Invasionsversuche der Perser (490 und 480 v. Chr.) stärkte die Demokratie, deren goldenes Zeitalter vor allem mit dem Namen Perikles (ca. 500 – 429 v. Chr.) verbunden ist.
Perikles bestimmte für mehr als 30 Jahre die Politik Athens und schloss einen 15-jährigen Frieden mit der konkurrierenden Stadt Sparta. Im Peloponnesischen Krieg zwischen Athen und Sparta von 431 bis 404 v. Chr. geriet die Demokratie vorübergehend in Krisen, erlebte dann jedoch bis etwa 322 v. Chr., bis in die Epoche Alexanders des Großen hinein, eine neue Blüte.
Danach endete die klassische Epoche der athenischen Demokratie: Nach Alexanders Tod (323 v. Chr.) und der Vernichtung der athenischen Flotte im Krieg zwischen Griechenland und Makedonien wurde Athen von den siegreichen Makedoniern in ihr Reich eingegliedert.
Solon (ca. 640 – 561/558 v. Chr.) behob große soziale Missstände in Athen, indem er die verarmten Bauern mittels der sogenannten Lastenabschüttelung von ihren Hypotheken und durch die Abschaffung der Schuldknechtschaft aus der Sklaverei befreite. Die Bevölkerung teilte er in vier Vermögensklassen ein. Solon schuf damit zugleich auch die Voraussetzungen einer politischen Neuordnung, weil das alte, aristokratische Prinzip der auf Herkunft und Abstammung basierenden gesellschaftlichen Stellung durchbrochen wurde. Er erschütterte die Vorherrschaft einiger weniger adliger Familien und erweiterte die Beteiligungsrechte für die unteren Schichten des Volkes.
Kleisthenes (570 – 506 v. Chr.) reformierte 508/507 die gesamte Sozialstruktur und legte damit die Basis für die Demokratie in Athen. Mit einer territorialen Neueinteilung Athens löste er die alten Stammesverbände auf, zerbrach so die Machtstrukturen der adligen Familien und schuf eine einheitliche, nicht mehr von der sozialen Herkunft abhängige politische Bürgerschaft.
Zur neuen Grundlage der politischen Ordnung wurden die Gemeinden, die Demen. Diese waren, modern gesprochen, Kommunen mit lokaler Selbstverwaltung. Hier entstand eine politische Gemeinschaft, in der sich ein Sinn für bürgerschaftliches Handeln und politische Verantwortung entwickeln konnte. Die Demen delegierten eine ihrer Bürgerzahl entsprechende Quote von Mitgliedern in einen ebenfalls neu geschaffenen „Rat der Fünfhundert“, die sogenannte Boule.
Außerdem ließ Kleisthenes die Demen in dreißig sogenannte Trittyen zusammenfassen. Je zehn dieser Trittyen bildeten die Regionen von Stadt, Küste und Binnenland. Indem Kleisthenes je eine Trittys aus diesen drei Regionen zu einer neuen Phyle kombinierte, waren nicht nur „Querschnitte“ durch die Regionen hergestellt, sondern die gesamte Bevölkerung Attikas war nun auch nach repräsentativen Kriterien politisch neu zusammengesetzt. Ein neues politisches Gemeinwesen ersetzte das auf Klientelbindungen, Abhängigkeiten und Patronage beruhende System der alten aristokratischen Ordnung.
Zwei weitere Reformen verhalfen der Demokratie in Athen dann schließlich zum vollen Durchbruch: Zum einen wurde der Areopag, der Adelsrat, als letzte Bastion der Aristokratie entmachtet. Seine Befugnisse – Überwachung der Gesetze, Verfahren bei politischen Vergehen und Beamtenkontrolle – wurden gestrichen oder auf das Volk übertragen. Schließlich führte Perikles, als führender Staatsmann Athens im 5. Jahrhundert v. Chr., Diäten ein. Dies waren Tagegelder für die Bürger als Ausgleich für den Verdienstausfall, den sie durch die Teilnahme an Versammlungen und die Übernahme von Ämtern erlitten.
Institutionen und Verfahren
Die Bürger Athens (mit Ausnahme von Frauen, Sklaven und Metöken) übten die volle Gesetzgebungs-, Regierungs-, Kontroll- und Gerichtsgewalt aus. Sie beschlossen in der Volksversammlung die Gesetze, wählten die Beamten, kontrollierten die gewählten oder durch Los bestimmten Amtsträger, prüften deren Amtsführung und bestimmten die Richter. Teilnehmen an der Volksversammlung konnte jeder, der in die Bürgerlisten der Demen eingetragen war. Jeder Bürger besaß ein Rederecht. In den Gerichtsversammlungen waren jährlich 6000 über das Los bestimmte Personen tätig, das entsprach in etwa einem Fünftel der Bürgerschaft.
Die Volksversammlung (Ekklesia) war das Machtzentrum der Athener. Zwar besuchten nicht immer alle der 30.000 bis 35.000 erwachsenen Bürger zu Zeiten des Perikles die Volksversammlung. Doch es nahmen wohl immer mindestens 6000 Personen teil, die für die Beschlussfassung notwendige Zahl.
Ort der Versammlung war die Pnyx, ein Hügel ungefähr 400 Meter westlich der Agora (Marktplatz). Die Volksversammlung trat häufig zusammen, es gab allein etwa 40 für das jeweilige Amtsjahr festgelegte Pflichtsitzungen. Diese dauerten nicht länger als einen Tag und wurden mit Angabe des Verhandlungsgegenstandes vier Tage vor dem Sitzungstermin durch öffentlichen Anschlag auf dem Markt angekündigt.
Es ging in den Volksversammlungen um die Kontrolle der Amtsträger, die Versorgung und Sicherheit Athens, die Erhebung politischer Anklagen, um Konfiskationen, also entschädigungslose, staatliche Enteignungen, um Erbansprüche sowie Petitionen. Ebenso wurden Fragen des Kultes, das heißt der religiösen Handlungen, und der Gesandtschaften behandelt. Abstimmungen erfolgten durch Heben der Hand.
Ein besonderes Verfahren war der Ostrakismos, das Scherbengericht. Es war von Kleisthenes eingeführt worden und bot die Möglichkeit, politische Führer, von denen die Athener meinten, dass sie ihrer Stadt großen Schaden zufügten, für zehn Jahre in die Verbannung zu schicken. Dieses Verfahren vollzog sich in zwei Stufen. Jedes Jahr konnte das Volk in einer Volksversammlung durch Handheben darüber abstimmen, ob es einen Ostrakismos geben sollte. War dies der Fall, fand das Scherbengericht zwei Monate später auf der Agora statt, indem jeder Bürger eine Tonscherbe (ostrakon) abgab, auf der er den Namen des zu Verbannenden eingekratzt hatte. 20 Jahre nach Einführung des Verfahrens hielten die Athener 487 v. Chr. erstmals ein Scherbengericht ab, um einen Verwandten des ehemaligen Tyrannen, der bis 510 regiert hatte, zu verbannen. Das letzte Scherbengericht wurde 417 v. Chr. durchgeführt.
Der Rat der 500 (Boule) bereitete die Volksversammlung vor. Er setzte sich aus je 50 Vertretern der zehn Phylen zusammen. Von diesen war jeweils eine für ein Zehntel des Amtsjahres, also 36 Tage, geschäftsführend. Der Rat beriet die jeweiligen Themen der Volksversammlung, verabschiedete einen vorläufigen Beschluss und bestimmte die Tagesordnung.
Die großen politischen Debatten fanden allerdings immer vor der Volksversammlung statt. Insofern vollzog sich die Politik in Athen wirklich dort und nicht im Rat. Der vorbereitende Ausschuss, die sogenannte Prytanie, loste täglich einen Vorsteher aus, der gleichzeitig dem Rat und der Volksversammlung vorsaß. Der tägliche Wechsel im Vorsitz ließ keine Machtverstetigung zu und bezeugte damit die gleichen Beteiligungs- und Einflusschancen eines jeden.
Athens Demokratie erstreckte sich auch auf die Gerichte, die wegen ihres besonderen Charakters als Gerichtsversammlungen bezeichnet werden müssen. Die Dikasterien waren reine Laiengerichte und allen Bürgern über 30 Jahren zugänglich. 6000 Bürger bestimmte das Los jährlich zu Richtern. Berufsrichter gab es nicht. Die Richter hatten einen Eid zu leisten, der sie verpflichtete, in Übereinstimmung mit den Gesetzen sowie den Beschlüssen von Volk und Rat zu urteilen. Aus diesem Kreis vereidigter Richter wurden die einzelnen Gerichtshöfe bestellt, die von unterschiedlicher Größe waren. Für öffentliche Prozesse betrug ihre Zahl etwa 500 Richter. Manchmal wurden bei wichtigen Prozessen mehrere solcher Einheiten gebildet, sodass dann einige tausend Richter zur gleichen Zeit tagen konnten.
Zur Idee der athenischen Demokratie gehörte es weiterhin, dass jeder Bürger als befähigt erachtet wurde, ein Amt zu bekleiden. Die etwa 700 Amtsträger wurden prinzipiell durch das Los bestimmt, ihre Amtszeit war strikt begrenzt, und sie unterlagen lückenloser Kontrolle und Rechenschaftslegung. Nur wenige herausgehobene Ämter, die besondere Kenntnisse erforderten, wurden durch Wahl vergeben. Dazu gehörten etwa die Finanzverwaltung, der Städtebau, die Wasserversorgung und das Amt der Strategen, der militärischen Befehlshaber, die vor allem für die äußere Sicherheit und die Kriegsführung zuständig waren.
Ansonsten wurden die Ämter durch das Los bestimmt, es war das Symbol für bürgerschaftliche Gleichheit, weil es gesellschaftliche Stellungen, Vermögensunterschiede und unterschiedliche Interessen neutralisierte. Das Losverfahren verhinderte Protektion und andere Formen der Bevorteilung im Prozess der Ämterbesetzung. Nirgends drückte sich das Ideal der gleichen Chance auf Teilhabe und Teilnahme an der Politik so klar aus wie in der athenischen Demokratie.
Um 403/402 v. Chr. kam noch die Institution der Nomotheten hinzu. Sie schränkte die Macht der Volksversammlung ein. Fortan sollten die Nomotheten die bedeutenderen, also höherrangigen Gesetze erlassen, wohingegen die Volksversammlung nur nachrangige Gesetze verabschieden konnte. Die Nomotheten wurden aus dem Kreis der Geschworenen, der Richter, bestimmt. Der Beschluss der Nomotheten besaß Gesetzeskraft, er bedurfte nicht der Bestätigung durch die Volksversammlung.
Die Institution der Nomotheten und das geänderte Gesetzgebungsverfahren sollten größere Sicherheit in der Gesetzgebung und eine höhere Stabilität der Demokratie gewährleisten. Denn die Volksversammlung war keineswegs frei von Stimmungen, und es gab Redner, die diese Stimmungen für eigene Interessen ausnutzten (Demagogen). So waren vor allem die Volksversammlung und die Demagogen, die Stimmführer in ihr, für die innenpolitischen Krisen von 411/10 und 404/403 v. Chr. verantwortlich gemacht worden, in denen die Demokratie für kurze Zeit aufgehoben und durch eine Oligarchie, die Herrschaft von einigen wenigen, ersetzt worden war.
Eine weitere Maßnahme zur Sicherung und Stabilisierung der Demokratie in Athen war die Einführung einer Klagemöglichkeit gegen vermeintlich gesetzeswidrige Beschlüsse der Volksversammlung. Ein Bürger konnte eine sogenannte graphe paranomon gegen den Beschluss der Volksversammlung oder des Rates anstrengen, das Volksgericht anrufen und den Antrag stellen, den Beschluss für nichtig zu erklären und den Antragsteller zu bestrafen. Wenn sie der Klage entsprachen, hoben die Gerichtsversammlungen die Entscheidungen der Volksversammlung auf. Athens unmittelbare Demokratie, wie sie sich im 5. Jahrhundert v. Chr. herausgebildet hatte, schien so im 4. Jahrhundert den Weg zu einer gemäßigten Demokratie zu gehen, die ihre Stabilität durch Sicherungsmechanismen zu verbürgen suchte.
Athen – Vorbild für moderne Demokratie?
In Athens demokratia übte das Volk die volle Gesetzgebungs-, Regierungs-, Kontroll- und Gerichtsgewalt aus. Damit war die Demokratie in Athen ein Regime direkter, unmittelbarer Herrschaft des Volkes, das auf umfassender Beteiligung aller Bürger beruhte und keine Unterschiede zwischen Arm und Reich kannte. Die Bürger bildeten in der Ekklesia die Legislative (Gesetzgebung) und in der Dikasteria die Judikative (Gerichtsbarkeit). Dort, wo die Bürger die Ämter besetzten, bildeten sie zugleich auch die Exekutive (vollstreckende Gewalt).
Der athenische Demos besaß also eine beispiellose Machtkonzentration. Gesetzgebende, richtende und ausführende Gewalt gingen vom Volk aus und verblieben auch bei ihm. Regieren und Regiertwerden waren eins – oder gingen, wie Aristoteles formulierte, „wechselweise“ vonstatten.
Vielen galt und gilt deshalb die athenische Demokratie als Modell einer Demokratie schlechthin, an dem auch moderne Demokratien immer wieder gerne gemessen werden. Vor allem die direkte, unmittelbare Beteiligung der Bürger an Entscheidungsprozessen, in der Ausübung von Ämtern und in der Rechtsprechung wurde und wird vielfach als vorbildhaft empfunden.
Für andere indes war genau jene uneingeschränkte Herrschaft des Volkes ein Schreckbild, denn die Demokratie konnte – demagogischen Einflüssen ausgesetzt – leicht in eine Tyrannei, also eine Gewalt- bzw. Willkürherrschaft umschlagen. Eine stabile Demokratie war deshalb für diese kritischen Stimmen nur in einer gemäßigten, repräsentativen Regierungsform vorstellbar.
Ist die antike, unmittelbare Demokratie Athens ein Vorbild für moderne Demokratien? Es bestehen grundlegende Unterschiede zwischen beiden, vor allem haben sich seither die Voraussetzungen und Strukturen verändert:
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Die Demokratie der athenischen Polis kannte im Gegensatz zu modernen Demokratien weder ein Parlament noch Parteien. Im Zentrum standen das Zusammenkommen, das Miteinander-Reden, das Abwägen der Argumente und schließlich das Treffen einer Entscheidung. Alle Bürger besaßen das Recht der Rede, es wurde von ihnen erwartet, dass sie sich an der politischen Willens- und Entscheidungsbildung beteiligten. Die wichtigste Waffe in der Auseinandersetzung war die Kunst der Überzeugung, der sich die Redner bedienen mussten, um Einfluss nehmen zu können.
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Entschieden wurde mit Mehrheit, was Perikles in einer von dem griechischen Historiker Thukydides (460 – 395 v. Chr.) überlieferten Rede (auf die ersten Gefallenen des Peloponnesischen Krieges 431/30 v. Chr.) zur eingangs zitierten Aussage führte, dass „Demokratie Regieren durch die Mehrheit“ sei. Die unterlegene Minderheit fühlte sich dem Mehrheitsbeschluss verpflichtet und stand loyal zu der getroffenen Entscheidung. Konflikte entlang von Partei- oder Fraktionslinien gab es nicht. Durch die Möglichkeit, Beschlüsse der Volksversammlung vor den Volksgerichten überprüfen zu lassen, wurde die persönliche Verantwortung der die Volksversammlung prägenden Redner gestärkt. Damit begegneten die Bürger auch den Gefahren der Demagogie.
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Die Athener Demokratie kannte keine Berufspolitiker. Jeder Bürger war berechtigt, an der Volksversammlung teilzunehmen. 6000 Bürger waren in der Regel bei der Volksversammlung, 200 bis 500, manchmal bis 1000 bei den Gerichtsversammlungen anwesend, 500 Bürger waren Mitglieder des Rates, und 700 hatten jedes Jahr ein Amt inne. Die faktische Beteiligung war also, angesichts von etwa 30.000 Vollbürgern, außerordentlich hoch. Die moderne Spaltung zwischen Regierenden und Regierten, zumeist verstärkt durch räumliche Distanz und institutionelle Repräsentanz, war der athenischen Demokratie fremd.
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Die athenische Demokratie lebte vom Engagement ihrer Bürger und von der gemeinsamen Sorge um das Gemeinwesen. Um noch einmal Perikles in der Überlieferung von Thukydides zu zitieren: „Wir vereinigen in uns die Sorge um unser Haus zugleich und unsere Stadt […] denn einzig bei uns heißt einer, der daran gar keinen Teil nimmt, nicht ein stiller Bürger, sondern ein schlechter.“ Die Athener waren von der politischen Urteilskraft eines jeden, auch des gewöhnlichen Bürgers, überzeugt. Erziehung, Kultvereine, Theater und auch die Volksversammlung waren Institutionen politischer Bildung, in denen sich das politische Urteilsvermögen ausbilden, schärfen und sich zugleich auch ein Grundkonsens einstellen konnte, der den Prozess des Beratens und Entscheidens wesentlich erleichterte.
Die Grenzen der Polisdemokratie zeigen sich in folgenden Punkten:
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Keineswegs alle Bewohner Athens waren Bürger und damit frei und gleich im Vollbesitz politischer Rechte. Von den 60.000 Männern unter den 200.000 Einwohnerinnen und Einwohnern waren nur etwa 30.000 Vollbürger. Frauen, Metöken und Sklaven besaßen keine Bürgerrechte und waren nicht befugt, an der Polisdemokratie teilzuhaben.
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Unveräußerliche Menschenrechte, wie das Recht auf Meinungsfreiheit oder das Recht einer Opposition oder Minderheit gegen die Mehrheitsherrschaft der Demokratie, kannte die Antike nicht. Gleichheit vor dem Gesetz (isonomia), wie die Athener sie verstanden, kann deshalb nicht in eins gesetzt werden mit der Gleichheit an individuellen, vor allem an die Person gebundenen Rechten. Der Einzelne definierte sich durch seine Mitgliedschaft in der athenischen Polis, hier und nur hier war er frei und gleich. Seine politische Freiheit drückte sich im Rederecht (isegoria) in der Volksversammlung und in den gleichen Zugangschancen zu Ämtern aus.
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Während in der polis die formale Gleichheit galt, herrschte im oikos, im Bereich des Wirtschaftens, des Sozialen, des privaten Haushaltes, Ungleichheit. In der Familie, im privaten Haushalt gab es Hierarchien; der Mann war der Herr des Hauses, der „Despot“. Das Soziale und Ökonomische gehörte nicht zu den Themen der Volksversammlung; Wirtschaftspolitik oder eine Politik, die sich dem Ausgleich sozialer und ökonomischer Unterschiede im Zeichen sozialer Gerechtigkeit verschrieben hätte, gab es in der Demokratie Athens nicht. Zwischen oikos und polis bestand eine strikte Trennung.
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Durchsetzung und Entfaltung der athenischen Demokratie beruhten auf Bedingungen, die nicht ohne Weiteres auf spätere Demokratien übertragbar sind. Die Seekriege beförderten den Einschluss der Ruderer und Besitzlosen in die Bürgerschaft und machten damit die Polisdemokratie erst zu einer Herrschaft freier und gleicher Bürger. Das Seereich, der AttischDelische Seebund, brachte auch Tribute und Zahlungen ein, ermöglichte weiträumigen Warenaustausch und sicherte so die enormen finanziellen Aufwendungen Athens. Die Demokratie, die Diäten für die Bürger, die Wohltätigkeit, der Kultus und das Theater verursachten erhebliche Kosten. Diese wurden zum Teil durch die sogenannten Liturgien, die Umlage der Finanzierung auf vermögende Bürger, beglichen. Bis zum Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. half aber eben auch das Imperium, die Vorherrschaft Athens über den Attisch-Delischen Seebund, die Demokratie zu finanzieren.
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Die direkte Demokratie Athens mit ihrem hohen Grad an Bürgerbeteiligung und der herausragenden Stellung und Bedeutung der Bürgerschaft war ein politisches Gemeinwesen auf kleinem Raum. Athen war zwar die größte Polis in Griechenland, die Bürgerschaft betrug aber unter Perikles kaum mehr als 35.000 und unter Demosthenes (384 – 322 v. Chr.) etwa 30.000 Bürger, die Stadtfläche umfasste nicht mehr als 2500 Quadratkilometer. Politik, die Angelegenheit des Bürgers, war von Raum und Zahl her also überschaubar. Das unterscheidet die Polisdemokratie von der großflächigen Demokratie des neuzeitlichen Territorial- und Nationalstaates.
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Die Praxis der athenischen Versammlungsdemokratie hat gezeigt, welches Selbstgefährdungspotenzial der Demokratie innewohnt. 411 v. Chr. und dann ganz ähnlich 404 v. Chr. hatte die Volksversammlung – im Zuge kriegerischer Auseinandersetzungen mit Sparta, Athens Hauptkonkurrenten um die Vorherrschaft Griechenlands – jeweils für die Abschaffung der Demokratie gestimmt. Die Macht wurde vorübergehend einigen wenigen Männern anvertraut, deren Herrschaft sich daraufhin aber in Richtung einer Oligarchie, der Herrschaft einer kleinen Gruppe, entwickelte.
Damit offenbarte sich ein Paradoxon, das auch die moderne Demokratie im 20. Jahrhundert beschäftigen sollte. Denn wenn das Volk, der Demos, frei ist, alles zu tun, dann kann es auch die Demokratie, seine eigene Herrschaft, abschaffen und durch andere Ordnungsformen, sogar Tyranneien oder Diktaturen wie im 20. Jahrhundert, ersetzen.
In Athen wurde zwar die Demokratie nach den Krisen von 411 und 404 v. Chr. relativ schnell wieder hergestellt, aber die Ereignisse bestärkten die Kritiker der Demokratie, allen voran den griechischen Philosophen Platon (427 – 347 v. Chr.), in der Ansicht, dass die Demokratie eine sehr instabile Herrschaftsform sei, in der Demagogen leichtes Spiel hätten, weil das Volk, „einfach in den Sitten, unstet in den Meinungen und verführbar durch Versprechungen“, letztlich also nicht in der Lage sei, verantwortungsvoll mit der eigenen Herrschaft umzugehen.
So hielt der Philosoph Sokrates (469 – 399 v. Chr.) die Demokratie für ein im Grunde absurdes Unterfangen, weil sie alle wichtigen politischen Entscheidungen in die Hände einer Mehrheit von gewöhnlichen Bürgern legte. Er verglich den Staat mit einem Schiff, das auch nicht dadurch lenkbar sei, dass alle Entscheidungen den Abstimmungen all jener unterworfen würden, die auf dem Schiff reisten.
Platon, der das undemokratische Sparta dem demokratischen Athen vorzog, hielt Orientierungslosigkeit, Beliebigkeit und Sittenverfall für Begleiterscheinungen der Demokratie. Damit zeichnete Platon allerdings ein Zerrbild der athenischen Demokratie, das seiner tiefen Enttäuschung über den Tod seines vom Volksgericht verurteilten Lehrers Sokrates geschuldet war.
Aber auch Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) lehnte die direkte Demokratie ab. Er bevorzugte eine Form der Demokratie, in der die Macht des Volkes darauf beschränkt blieb, die fähigsten Amtsträger zu wählen und von ihnen Rechenschaft zu fordern, aber die Entscheidungen selbst von diesen Amtsträgern treffen zu lassen. Aristoteles schwebte, wie er in seiner Verfassungslehre ausführte, als ideale politische Ordnung eine Mischung aus Demokratie und Oligarchie, gleiche Wahlrechte für alle Bürger, aber Wahl der Entscheidungsträger nach Kompetenz und Ansehen vor. Er nannte diese Verfassung „Politie“. Bei ihr handelte es sich um eine gemäßigte Demokratie; ihre Bürger besaßen gleiche Bürgerrechte, aber abgestufte Möglichkeiten, an der Herrschaftsausübung politisch teilzuhaben. Aus der Verfassungsform der Oligarchie bezog die „Politie“ ihre Mäßigung, weil nun die Ämter wählbar waren.
In Aristoteles‘ Modell einer Mischverfassung finden sich also drei Gedanken, die für die moderne Demokratie wegweisend werden sollten. Elementar für ein politisches Gemeinwesen ist die Aktivbürgerschaft, dies ist der Gedanke der Demokratie. Herrschaft aber muss, wenn sie im Interesse des Gemeinwesens ausgeübt wird, eingeschränkt sein, und dies auch dort, wo der Demos herrscht. Das ist das Prinzip der Begrenzung von Herrschaft, das sich dann vor allem im 18. und 19. Jahrhundert als Prinzip der liberalen Demokratie herausbilden sollte. Und schließlich versprach die Mischung von Verfassungsformen nicht nur eine gemäßigte Herrschaft, sondern auch politische Stabilität.
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