Besonders pikant: Das ZDF räumte vor Gericht freimütig ein, dass man bei „tagesaktueller Berichterstattung“ eben Meldungen Dritter „ungeprüft und ungefiltert“ übernehme. Eine erstaunliche Aussage für einen Sender, der sich gerne als Leuchtturm des Qualitätsjournalismus inszeniert. Stattdessen praktizierte man offenbar Copy-Paste-Journalismus der besonderen Art – garniert mit zusätzlichen, nicht einmal von „Correctiv“ selbst behaupteten Details. Die Richter ließen diese Argumentation nicht gelten, zumal der Bericht monatelang online blieb. Zeit für Fact-Checking wäre also reichlich gewesen. Doch selbst als andere Gerichte ähnliche Darstellungen bereits untersagt hatten, hielt das ZDF an seiner Version fest.
Was bleibt, ist ein Trümmerhaufen journalistischer Grundsätze. Ein öffentlich-rechtlicher Sender, der zugibt, keine Zeit für eigene Recherchen zu haben, aber Zeit findet, ungeprüfte Behauptungen zu verstärken und zu dramatisieren. Das ist mehr als ein Fehltritt – es ist ein Offenbarungseid.
Der Fall reiht sich ein in eine wachsende Liste von Gerichtsentscheidungen gegen Medien, die die „Correctiv“-Geschichte unkritisch übernahmen. Dass ausgerechnet die gebührenfinanzierten Flaggschiffe dabei eine unrühmliche Rolle spielten, wirft Fragen auf – nicht nur nach journalistischer Sorgfalt, sondern auch nach dem Selbstverständnis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Mittlerweile ist der ursprüngliche ZDF-Beitrag aus der Mediathek verschwunden. Zurück bleibt ein 404-Fehler – und das ungute Gefühl, dass hier nicht nur ein Beitrag, sondern auch journalistische Standards nicht mehr auffindbar sind. Für Attacken auf die unliebsame Opposition scheint jedes Mittel recht.
Am Mittwochabend des 10.01.2024 erfuhren die Zuschauer des heute journal im ZDF von aufsehenerregenden Rechercheergebnissen zum Potsdam-Treffen. Correctiv hatte morgens einen Bericht über ein Treffen von Unternehmern, Politikern und politischen Aktivisten in Potsdam veröffentlicht. Tagesaktuell sendete das Nachrichten-Flaggschiff des ZDF, das heute journal, einen Beitrag zum Thema. Darin erfuhren die Zuschauer, in Potsdam sei die „Deportation von Millionen Menschen auch mit deutscher Staatsbürgerschaft“ geplant worden. Außerdem sei es dort um die Idee gegangen, Millionen Menschen „abzuschieben“, „auch solche mit deutschem Pass“.
Bericht zu Deportationsplänen verboten
Doch diese Aussagen waren falsch! Das hat nun das Landgericht Hamburg festgestellt und dem ZDF mit einstweiliger Verfügung (n.rk.) die falschen Behauptungen verboten. Die heute journal-Redaktion des ZDF ging dabei den nebulösen Wertungen des Correctiv-Berichts auf den Leim, dass es in Potsdam um die Abschiebung von deutschen Staatsbürgern gegangen sei. Damit ist das ZDF nicht allein, denn anderen Presseorganisationen unterliefen im Überbietungswettbewerb um die angsteinflößendste Schlagzeile zum Potsdam-Treffen ähnlich grobe journalistische Fehler, die von diversen Gerichten verboten wurden. Ein erheblicher Schaden entstand dabei den Teilnehmern des Treffens, die sich zwar gegen die falschen Darstellungen und Berichterstattungen in zahlreichen Verfahren erfolgreich vor Gericht wehrten, aber bis heute um ihren Ruf kämpfen.
ZDF ignorierte Gerichtsentscheidungen
Auf die Idee, die Teilnehmer des Potsdam-Treffens vor einer derart reißerischen Berichterstattung anzuhören, um die irreführenden Wertungen von Correctiv nachzurecherchieren, kam das ZDF nicht. Jedenfalls bei Dr. Ulrich Vosgerau (CDU) meldete sich vor der reichweitenstarken Berichterstattung des heute journal niemand. Das ist bereits ein journalistisches Versagen, aber auch nachträglich kam das ZDF seiner journalistischen Sorgfaltspflicht nicht nach: Das ZDF ignorierte über zehn Monate lang die aktuellen Entwicklungen rund um das Potsdam-Treffen. Obwohl Dr. Vosgerau seit Monaten identische Falschdarstellungen gegenüber Dritten gerichtlich verbieten ließ, verbreitete das ZDF seinen falschen Bericht online weiter. Dieses eklatante Fehlverhalten kritisierte das Landgericht Hamburg daher zusätzlich in seiner Verbotsbegründung.
ZDF ist Zeitdruck nicht gewachsen
Aberwitzig war außerdem die Strategie der Verteidigung. Vor Gericht argumentierte das ZDF, dass ihm „im Rahmen der tagesaktuellen Berichterstattung eigene Nachrecherchen aus Zeitgründen in aller Regel nicht möglich seien“. Dieser naive Einwand ist besonders bemerkenswert, da es mühelos möglich gewesen wäre, Teilnehmer wie Dr. Vosgerau kurzfristig per E-Mail oder telefonisch zu befragen. Man hatte also beim ZDF offensichtlich kein Interesse daran, die reißerischen Wertungen von Correctiv kritisch zu hinterfragen.
Carsten Brennecke: „Ich empfehle dem ZDF dringend, einen Blick in den Pressekodex zu werfen. Darin heißt es: „Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben.“ Wenn sich die Hauptnachrichtensendung des ZDF, das heute journal, nicht in der Lage sieht, den Wahrheitsgehalt tagesaktueller Berichte über eine eigene Recherche zu überprüfen, ist dies eine Bankrotterklärung und beschädigt das Ansehen des ohnehin angeschlagenen ÖRR zusätzlich.“
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