Kategorien Verfassungsrecht
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Warum ist es nun aber häufig doch richtig, dass Präambeln keine rechtliche Bedeutung haben? Das bezieht sich häufig nicht auf Vertragspräambeln, sondern auf Gesetze, vor allem auf Verfassungen.
Verfassungen haben meist Präambeln, die mit feierlichen Worten die Entstehung der Verfassung skizzieren, ihre Wichtigkeit betonen oder die hinter ihr stehenden Werte darlegen. Diese Worte sind häufig rechtlich nicht relevant, weil sie eben keinen Inhalt haben, der Grundlage eines Urteils werden kann.
Schauen wir uns die beiden Versionen der Präambel des Grundgesetzes einmal an:
Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen,
von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat das Deutsche Volk
in den Ländern Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern,
um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben,
kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen.
Es hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war.
Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.
(Version 1949 bis 1990)
Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen,
von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.
Die Deutschen in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk.(Version ab 1990)
Was haben wir denn hier als echte rechtliche Entscheidung? Kann man etwa das Bewusstsein vor Gott und Mensch einklagen? Was sagt uns der Wille zu einem einigen Europa und Weltfrieden? Dass die alte West-BRD sich als der einzige deutsche Staat sah, der sich auch für die Bürger in der Ostzone/DDR inder Verantwortung fühlt, war lediglich ein politischer Programmsatz ohne wirkliche rechtliche Signifikanz. Dass nunmehr das Grundgesetz für das „gesamte Deutsche Volk“ gilt, mag man allenfalls als Bekenntnis dazu, dass man staatlicherseits keine Gebietsansprüche über das derzeitige Deutschland hinaus mehr geltendmacht, sehen. In der Hinsicht sind bi- und multilaterale Verträge aber viel wirkungsvoller als die Präambel einer Verfassung, die der Staat selbst jederzeit ändern könnte.
Lediglich im KPD-Verbots-Verfahren hat man tatsächlich einen Normbefehl in der Präambel ausgemacht: Das Bundesverfassungsgericht war der Meinung, dass zumindest der Satz „Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden“ Rechtsmacht besitzt. Alle Bürger und alle Organisationen hätten danach die verfassungsmäßige Pflicht, auf die Einheit hinzuwirken. Unter anderem aufgrund ihrer Gegnerschaft zur Wiedervereinigung wurde die KPD dann auch verboten. Dieser Teil des BVerfG-Urteils war naheliegenderweise auch sehr umstritten und hat Karlsruhe den Vorwurf eingebracht, es habe ein politisch erwünschtes Ziel mit juristisch zweifelhaften Argumenten erreichen wollen.
Sehr selten wird auch ein Recht auf Sezession einzelner Bundesländer mit der Begründung abgelehnt, die GG-Präambel zähle ja die Länder auf, in denen es gelten solle. Darum verstieße es gegen die Verfassung, eines dieser Länder aus dem Geltungsbereich des Grundgesetzes herauszutrennen. Diese Auffassung scheitert schon am Wortlaut. Die genannten Länder „haben die Einheit vollendet“ – dass sie weiter Teil dieser Einheit bleiben müssen, steht dort nicht. Darüberhinaus ist der Satz auch rein deskriptiv. Keine Rechtsnorm kann ihren Geltungsbereich tatsächlich festlegen, sie kann ihn nur einschränken. Denn über den Einflussbereich des Normgebers hinaus kann sie ihren Geltungsbereich nie erstrecken: Würde im Grundgesetz stehen, dass es in Guatemala, Tansania und Ungarn gilt, dann wäre dem noch lange nicht so, da Bundestag und Bundesrat in Guatemala, Tansania und Ungarn keine Rechte besitzen und damit auch keine Verfassung für dieses Gebiet erlassen können.
Eine andere seltene Interpretationsmöglichkeit für eine Präambel ist diejenige, dass sie einen umfassenden Einblick in die Motive des Gesetzgebers gibt. Sie ist zwar für sich allein genommen nicht rechtlich relevant, aber sie ist als Auslegungshilfe für fast alle anderen Vorschriften heranzuziehen. Damit hätte die Präambel einen ungeheuer weiten Bedeutungsgehalt. Denn auf einmal hängt sie an jeder anderen Vorschrift automatisch „hinten dran“ und wird an vielen Stellen bedeutsam. Der US-amerikanische Oberste Gerichtshof ist diesen Weg gegangen. Seit dem gibt es eine immense Fülle an Urteilen des Supreme Courts, aber auch anderer Bundesgerichte, die sich auf die Präambel beziehen. Häufig werden äußerst weitreichende Schlussfolgerungen daraus gezogen, insbesondere in Bezug auf die Rechte der Einzelstaaten gegenüber der Union. Allerdings ist die Präambel zur US-Verfassung auch deutlich spezifischer als diejenige der meisten anderen Verfassungsgesetze.
Nochmal: Verfassungspräambeln besitzen meistens keine juristische Relevanz, weil es sich dabei nicht um juristische Texte, sondern um feierliche Leerformeln handelt. Dass diese Leerformeln in der Präambel stehen, ist dabei völlig irrelevant. Sie wären die gleichen unbedeutenden Leerformeln, wenn sie in Artikel 3 oder § 14 stehen würden. Würde dagegen die Art und Weise, wie der Bundeskanzler gewählt wird, nicht in Art. 63 GG, sondern in der Präambel stehen, dann wäre das natürlich relevant. Nur schreibt man soetwas eben nicht in die pathetisch formulierte Präambel, sondern in die harten Artikel weiter hinten in der Verfassung.
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