Im 2. Teil des Vortrages von Prof. Mausfeld behandelt er die gegenwärtige Haltung insbesondere der Weltmacht USA und ihrer Verbündeten und Vasallen gegenüber dem offiziell geltenden Völkerrecht, ihre absolute Rechtsverachtung, die sich zu einem regelrechten Nihilismus, der Verneinung jeglichen Völkerrechts steigert. Er legt einen erschreckenden permanenten Rückfall in das „Faustrecht“ des primitiven Egomanen offen und die psychische Verdrängung eines gespaltenen Bewusstseins der Öffentlichkeit. Die Zivilisierung durch das moralische Recht könne nur von uns selbst durch den politischen Kampf an der Basis errungen werden. Wir bringen nachfolgend das Transkript des zweiten Teiles mit eingefügten Zwischenüberschriften. (hl)
Rambo (amazon.de)
Rainer Mausfeld
Rechtsverachtung und Rechtsnihilismus des Stärkeren
Der erste Teil war sozusagen der etwas schwierigere Stoff, weil er systematisch eigentlich war. Er sollte dahin führen, dass wir versucht haben, in der Friedenssicherung ein normatives Gerüst zu entwickeln über das Recht. Und – das ist der ganz wichtige Punkt – dieses normative Gerüst muss realistisch sein, es muss dem Menschen, wie er ist, Rechnung tragen, und es muss dem Verhalten von Staaten, wie sie sind, Rechnung tragen.
Kant hatte enorm viel auch zu seiner Zeit Beobachtungen selbst gemacht und hatte versucht, einen sehr realistischen Ansatz zu wählen, sonst hätte der auch nicht den Weg in die UN-Charta gefunden.
Im zweiten Teil möchte ich jetzt die Realität, die gegenwärtige, kurz behandeln. Er hat einen ganz anderen Charakter. Ich möchte Ihnen mehr exemplarisch ein paar Schlagzeilen aus der Tagespresse oder aus anderen Berichten vorführen, um ihnen zu zeigen:
Wie geht man denn heute eigentlich mit dem Völkerrecht und mit der UN-Charta um?
Die Beispiele, die ich bringe, will ich nicht inhaltlich diskutieren. Da komme ich später drauf. Mir geht es hier um etwas ganz anderes, nämlich: Wie gehen wir mit diesen Verletzungen, mit diesen gewaltigen Verletzungen, die im Grunde dem Recht überhaupt die Basis entziehen, wie gehen wir mit diesen Verletzungen um? Deswegen werde ich die Beispiele nur ganz kurz ansprechen, und es geht mir dann im Wesentlichen um diesen psychologischen Punkt. Also gehen wir kurz durch einige Beispiele, die auch in der Tagespresse vorkommen, durch.
– 18. September 24: Die UN Generalversammlung fordert von Israel die Beendigung der rechtswidrigen Präsenz im besetzten palästinensischen Gebiet.
Das macht sie schon seit – man kann fast sagen – seit Jahrzehnten. Die wurde mit überwältigender Mehrheit der Generalversammlung verabschiedet, unverzüglich die Besetzung, die Präsenz im palästinensischen Gebiet zu beenden, alle Streitkräfte abzuziehen, alle neuen Siedlungs-Aktivitäten sofort einzustellen, alle Siedler aus besetztem Land zu evakuieren und Teile der Trennmauer abzubauen, die im besetzten Jordanland errichtet wurde.
Auch dazu gibt es schon vor einigen Jahren eine entsprechende Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs. Was ist die Reaktion auf eine solche Resolution und Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs durch die betroffenen Staaten?
Die Reaktion ist immer dieselbe, und kürzlich hat sie noch einmal der Sprecher des Repräsentantenhauses ganz offen zum Ausdruck gebracht:
Wir stellen kein internationales Gremium über die amerikanische Souveränität. Und Israel tut das auch nicht.
Das ist eine Verhöhnung des Völkerrechts insgesamt. Denn Völkerrecht bedeutet gerade eine freiwillige Souveränitäts-Beschränkung durch internationale Gremien zum Zwecke einer Sicherung des Friedens. Die Tageszeitungen sind voll mit weiteren.
– Guterres warnt vor Kriegsverbrechen an UN-Truppen, weil israelisches Militär wiederholt auf UNO-Truppen schießt.
Das wird weitgehend – unsere Zeitungen sind ja der Objektivität verpflichtet – wird weitgehend nüchtern und kommentarlos berichtet. Der SPIEGEL (wird eingeblendet, min. 4:29) wagt sich sogar ein bisschen vor und sagt: Dieses Schießen auf UNO-Soldaten ist „kein Versehen, Israel bekämpft die internationale Rechtsordnung“. Das ist faktisch genau das, was der Fall ist. Und die Süddeutsche berichtet: „Israel vertreibt die UN“.
– Human Rights Watch hatte kürzlich einen Bericht: „Israel foltert medizinisches Personal“.
Die UN-Kommission stellte am 10. Oktober – wir sind ganz aktuell – fest: „Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Angriffe auf Gesundheitseinrichtung in Form ethnischer Ausrottung mit unerbittlichen und vorsätzlichen Angriffen auf medizinisches Personal und Einrichtungen“.
– Auch das war in der Tagespresse: „Die UN-Kommission erhebt schwere Vorwürfe gegen Israel wegen Folter, sexueller Gewalt und den gezielten Beschuss von Krankenwagen“.
– Kürzlich erschien ein Bericht der Sonderberichterstatterin mit dem Titel: „Völkermord als koloniale Auslöschung“. Dieser Bericht stellt in schockierendem Detail die Art von Menschenrechts-Verbrechung fest, die in diesem Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser begangen werden.
Alles ist öffentlich, alles ist nachlesbar. Klage also keiner dann, wenn es wieder passiert ist, man habe es nicht gewusst, und man habe es nicht wissen können. Und kürzlich hat die höchste Stelle, der UN-Kommissar für Menschenrechte, aufgerufen: „Staaten müssen den Genozid verhindern.“
Diese Berichte gibt es – wenn Sie dafür ein Auge haben – jeden, jeden Tag und werden immer dramatischer, die Aufrufe der UNO werden immer dramatischer. Manches findet auch seinen Weg in die Tagespresse. Was machen wir eigentlich damit?
Spaltung unseres Bewusstseins
…hier weiterlesen:
Das herrschende „Faustrecht“ des Stärkeren und seine absolute Rechtsverachtung (2)