Washington plant Staatenkartell bei KI-Halbleitern und bietet Deutschland Teilhabe an – zu einer Zeit, zu der das deutsche Chinageschäft schrumpft und für Berlin die Anreize zu einer engeren Kooperation mit den USA zunehmen.
WASHINGTON/BERLIN (Eigener Bericht) – Die USA planen ein Staatenkartell zur globalen Kontrolle von Halbleitern für Künstliche Intelligenz (KI) und bieten Deutschland Teilhabe an. Der Vorstoß der scheidenden Biden-Administration sieht vor, dass KI-Chips unbeschränkt nur noch innerhalb eines Kartells von 19 eng verbündeten Staaten geliefert werden dürfen; die Bundesrepublik soll dazuzählen. Ein Exportverbot trifft die Gegner Washingtons von China über Russland bis Iran. Exportbeschränkungen gelten für diejenigen über 120 Staaten, die weder Gegner noch enge Verbündete Washingtons sind. Die Menge an KI-Chips, die sie kaufen dürfen, genügt nicht für Durchbrüche an die Weltspitze und hält Länder wie etwa Indien und die arabischen Golfstaaten auf zweitklassigem Niveau fest. US-Chipkonzerne laufen gegen die Lieferbeschränkungen Sturm, da diese ihnen Kunden und Einnahmen rauben und die chinesische Konkurrenz nötigen, schneller als geplant eigene KI-Halbleiter zu entwickeln. Der US-Vorstoß und das Angebot an Deutschland erfolgen zu einem Zeitpunkt, zu dem das vormals boomende deutsche Chinageschäft schrumpft und die Anreize für Deutschland zunehmen, sich noch stärker auf die Seite der USA zu schlagen.
Drei Klassen von Staaten
Die Administration von US-Präsident Joe Biden hat kurz vor ihrem Abschied umfassende neue Regularien für den Export von Halbleitern vorgeschlagen, die für die Entwicklung und für Anwendungen Künstlicher Intelligenz (KI) benötigt werden. Dabei teilt Washington die Staatenwelt förmlich in drei Kategorien ein. Die erste Kategorie besteht aus den Vereinigten Staaten und 18 ihrer wichtigsten Verbündeten, darunter Deutschland, Großbritannien und Frankreich, Japan, Südkorea und die Insel Taiwan.[1] Dorthin dürfen die leistungsfähigsten KI-Chips grundsätzlich ohne Einschränkung verkauft werden. Die dritte Kategorie besteht aus Ländern wie China, Russland oder Iran, die von den USA als Gegner eingestuft werden. Sie dürfen wie bisher keine der modernsten KI-Chips beziehen und werden außerdem mit Sanktionen am Erwerb von Maschinen und von Technologie zur eigenen Fertigung von KI-Chips gehindert. Zwischen ihnen etabliert die Biden-Administration eine zweite Kategorie, zu der Berichten zufolge mehr als 120 Staaten weltweit gehören, darunter einige NATO-Staaten, aber auch Länder etwa im Mittleren Osten oder auch in Asien, die von Washington als Partner umworben werden. Sie sollen trotzdem nur eine streng beschränkte Anzahl von KI-Chips erhalten. Zu ihnen zählen die arabischen Golfstaaten und Indien.[2]
„Die weitestmögliche Führung“
Der Vorstoß aus Washington ist der bislang am weitesten reichende Versuch der USA, Chinas Aufstieg mit den Mitteln des Wirtschaftskriegs zu stoppen. Bei Technologien wie KI reiche es nicht mehr aus, dafür zu sorgen, dass US-Tech-Konzerne stets „um ein paar Generationen“ vor ihrer Konkurrenz lägen, hatte Joe Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan Mitte September 2022 geäußert. Die Vereinigten Staaten sollten sich vielmehr „eine weitestmögliche Führung“ sichern.[3] Das erfordert laut Bidens Interpretation einen möglichst weitreichenden Ausschluss der Volksrepublik von KI, die als die Basis nicht nur des künftigen technologischen Fortschritts allgemein, sondern speziell auch der Entwicklung und der Anwendung modernster Rüstungstechnologien gilt. Der Versuch, China von KI so weit wie möglich abzuschneiden, entspringt auch dem Bestreben der Vereinigten Staaten, sich als militärische Supermacht mit einem kriegsentscheidenden technologischen Vorsprung vor ihren Gegnern zu behaupten.
In die Zweitklassigkeit verbannt
Neu ist, dass Washington nicht nur seine Gegner vom Zugang zu modernsten Technologien auszuschließen sucht, sondern den – theoretisch – unbegrenzten Zugang zu KI für gerade einmal 18 enge Verbündete reservieren will.[4] Die erwähnte zweite Kategorie von Staaten soll zwar mit KI-Chips beliefert werden dürfen, dies freilich nur in einem strikt begrenzten Umfang, der sie bei KI auf ein allenfalls zweitklassiges Niveau festlegt. Dies trifft unter anderem einige der arabischen Golfstaaten, insbesondere Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, die jeweils gewaltige Datencenter errichten, um bei KI so weit wie möglich zum weltweiten Spitzenniveau vorzustoßen. Der Konzern G42 aus Abu Dhabi etwa ist dabei, gemeinsam mit Microsoft zwei neue KI-Datencenter zu bauen. Dafür musste er sogar seine erprobte Zusammenarbeit mit dem chinesischen Konzern Huawei einstellen.[5] Wird der Biden’sche Vorstoß realisiert, sind die G42-KI-Datencenter zur Zweitklassigkeit verdammt. Vor vergleichbaren Perspektiven steht auch Indien. Auswege böte allenfalls eine absolute außenpolitische Unterwerfung unter die USA – in einer Zeit, in der der Globale Süden seine überkommene Abhängigkeit von den früheren Kolonialmächten abzuschütteln sucht.
Unmut bei Nvidia
Noch ist ungewiss, ob der Biden’sche Vorstoß realisiert wird. Zunächst muss eine 120 Tage währende Einspruchsfrist abgewartet werden. Auch ist unklar, ob der President-elect Donald Trump dem Plan zustimmen wird. Zahlreiche einflussreiche US-Tech-Konzerne haben sich bereits bitter über den Vorstoß beschwert – insbesondere Nvidia, der aktuell bedeutendste Hersteller von KI-Chips weltweit. Nvidia sieht zum einen seinen Absatz gravierend bedroht, sollten Länder jenseits des 19 Staaten umfassenden KI-Kartells nur noch eingeschränkt beliefert werden dürfen. Zum anderen geht der US-Chipfabrikant davon aus, eher früher als später werde er sein aktuelles KI-Chip-Monopol nicht halten können, wenn insbesondere chinesische Konzerne praktisch zur Entwicklung eigener KI-Halbleiter genötigt werden. Es kommt hinzu, dass Nvidia im Jahr 2020 die erforderliche chinesische Zustimmung zur Übernahme der israelischen Tech-Firma Mellanox nur gegen die Zusage erhielt, in Zukunft keine Kaufbeschränkungen vorzunehmen.[6] Nvidia kann die Zusage zwar leicht brechen, muss dann allerdings, solange noch irgendwelche internationalen Wirtschaftsnormen gültig sind, mit Schwierigkeiten rechnen.
Einbrüche im Chinageschäft
Das Angebot der US-Administration, Deutschland dürfe zu dem 19 Staaten umfassenden KI-Chip-Kartell hinzugehören, ergeht an Deutschland zu einem Zeitpunkt, zu dem sein einst boomendes Chinageschäft nicht mehr wie gewünscht läuft. Wie gestern publizierte Daten der chinesischen Zollbehörde zeigen, sind Chinas Exporte in die Bundesrepublik um rund acht Prozent gestiegen – ein Ergebnis der Tatsache, dass die Volksrepublik in wichtigen Branchen wie der Solarindustrie oder der Elektromobilität mittlerweile besser und billiger produziert als Deutschland. Zugleich sind die deutschen Exporte nach China um ein gutes Zehntel eingebrochen – ein Beleg dafür, dass die Volksrepublik die Produkte, die sie braucht, in steigendem Umfang selbst produzieren kann.[7] Es kommt hinzu, dass Zölle und Sanktionen, die die westlichen Staaten gegen China verhängen, Beijing veranlasst haben, nicht mehr auf Importe aus dem Westen zu setzen, sondern sich industriell unabhängig zu machen. Ein erneutes Aufleben des deutschen Exports in die Volksrepubik ist unter solchen Bedingungen nicht in Sicht. Dies verstärkt den Anreiz für Berlin, sich noch mehr als bisher auf die Seite Washingtons zu schlagen – womöglich auch mit Blick auf das neue KI-Chip-Kartell.
[1] Ana Swanson: Biden Administration Adopts Rules to Guide A.I.’s Global Spread. nytimes.com 13.01.2025.
[2] Asa Fitch, Liza Lin: U.S. Targets China With New AI Curbs, Overriding Nvidia’s Objections. wsj.com 13.01.2025.
[3] Remarks by National Security Advisor Jake Sullivan at the Special Competitive Studies Project Global Emerging Technologies Summit. whitehouse.gov 16.09.2022.
[4] Bei den 18 Verbündeten handelt es sich laut Berichten um Australien, Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, Japan, Kanada, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Schweden, Spanien, Südkorea, Taiwan. Charlotte Trueman: Biden administration moves ahead with much-criticized AI Diffusion legislation. datacenterdynamics.com 13.01.2025.
[5] Emiko Matsui: Microsoft deal forces G42 to end relations with Huawei on AI security: Report. huaweicentral.com 25.06.2024.
[6] China probes Nvidia over Mellanox deal amid rising US-China tensions. calcalistech.com 09.12.2024.
[7] China exportiert so viel wie noch nie. Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.01.2025.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9822