16. Januar 2025

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NATO beschließt Baltic Sentry, die Entsendung von Militär in die Ostsee zum Schutz der Unterwasserinfrastruktur

NATO beschließt Baltic Sentry, die Entsendung von Militär in die Ostsee zum Schutz der Unterwasserinfrastruktur. Deutschland schickt Kriegsschiffe. Rechtliche Grundlagen für ein Vorgehen gegen fremde Schiffe sind nicht gegeben.

15
Jan
2025

BERLIN (Eigener Bericht) – Deutschland und die sieben anderen NATO-Ostseeanrainer starten eine Marineoperation in der Ostsee zum Schutz der Unterwasserinfrastruktur. Dies haben die Staats- und Regierungschefs der beteiligten Länder am gestrigen Dienstag auf einem Treffen in Helsinki beschlossen. Demnach sollen Kriegsschiffe, U-Boote sowie Flugzeuge zum Einsatz kommen; auch Unterwasserdrohnen und anderes High-Tech-Gerät werden genutzt. Auslöser ist, dass seit dem Herbst 2023 mehrfach Pipelines und Kabel auf dem Boden der Ostsee schwer beschädigt wurden. Vorwürfe, es handle sich um russische Sabotage, sind in den NATO-Staaten populär, aber bis heute unbewiesen. Experten weisen darauf hin, jährlich würden 150 bis 200 Schadensfälle bei Unterwasserkabeln registriert. Allerdings hat Moskau mehrmals angekündigt, auf die Lieferung westlicher Waffen an die Ukraine asymmetrisch zu reagieren; wer weiter liefert, muss also russische Reaktionen einkalkulieren. Ganz unklar ist, wie die NATO vorgehen will: Das internationale Seerecht lässt es nicht zu, fremde Schiffe jenseits der Küstengewässer zu stoppen oder zu entern. Finnland fordert bereits, das Seerecht zu ändern oder es kreativ zu interpretieren.

 

Schäden an der Unterwasserinfrastruktur

Begründet werden die Aktivitäten der NATO mit Schäden, die seit Herbst 2023 an Pipelines und Kabeln auf dem Meeresboden der Ostsee aufgetreten sind. Am 8. Oktober 2023 etwa wurden die Erdgaspipeline Balticonnector und ein Telekommunikationskabel, die beide zwischen Estland und Finnland verlaufen, durchtrennt; die westlichen Staaten verdächtigten ein chinesisches Containerschiff namens NewNew Polar Bear, dafür verantwortlich zu sein. Am 18. November 2024 wurden Schäden an zwei Kabeln auf dem Boden der Ostsee entdeckt, darunter das Kommunikationskabel C Lion1, das Helsinki und Rostock verbindet. Diesmal geriet das chinesische Schiff Yi Peng 3 im Westen rasch unter Verdacht. Am 25. Dezember 2024 wurden dann das Stromkabel Estlink2, das zwischen Estland und Finnland verläuft, sowie weitere Kommunikationskabel beschädigt. Als Verursacher betrachten die westlichen Staaten den Erdöltanker Eagle S, der von einer Firma in den Vereinigten Arabischen Emiraten betrieben wird. Die finnischen Behörden brachten den Tanker auf und verlegten ihn an die Küste; das war möglich, da er in finnischen Hoheitsgewässern kreuzte. Rein spekulative Verdächtigungen, die Eagle S könne mit umfangreichem Spionagegerät ausgestattet sein, sind inzwischen widerlegt.

 

Asymmetrische Antworten

Zu den Vorwürfen gegen die Crew der NewNew Polar Bear liegt mittlerweile eine interne Untersuchung chinesischer Behörden vor. Diese ergab, dass die Gaspipeline Balticonnector in der Tat vom Anker des chinesischen Containerschiffs zerstört wurde. Allerdings geht Beijing davon aus, Ursache sei ein schwerer Sturm gewesen. Von Sabotage könne keine Rede sein.[1] Das ist gut möglich. Laut Angaben der International Telecommunication Union (ITU) mit Sitz in Genf werden jährlich 150 bis 200 Schadensfälle an Unterseekabeln gemeldet; von im Durchschnitt drei Reparaturen wöchentlich ist die Rede.[2] Die ITU, eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, hat im November 2024 gemeinsam mit dem International Cable Protection Committee (ICPC), einem Industrieverband, ein Beratungsgremium gegründet – den International Advisory Body for Submarine Cable Resilience –, um Wege zum besseren Schutz für die Kabel zu finden. Allerdings ist auch nicht auszuschließen, dass Moskau für die Schäden Verantwortung trägt. Präsident Wladimir Putin hat erklärt, Russland behalte sich in Reaktion auf eine Lieferung westlicher Waffen an die Ukraine asymmetrische Antworten vor. Wer Waffen liefert, muss sich also bewusst sein, dass Moskau dies nicht ohne weiteres hinnehmen wird.

Ein Schwachpunkt der NATO-Staaten

Die zahllosen Pipelines und vor allem Kabel, die auf den Böden der Weltmeere liegen – die Unterseekabel bewältigen laut ITU-Angaben 99 Prozent des internationalen Datentransfers –, bilden tatsächlich einen Schwachpunkt in der Infrastruktur der NATO-Staaten. Das hat zum einen damit zu tun, dass sie in den riesigen Weiten der Weltmeere schwierig zu schützen sind. Zum anderen sind die Eingriffsmöglichkeiten der NATO-Staaten im Fall von Sabotage sehr begrenzt. Zwar haben die Anrainer innerhalb des Küstenmeeres, das sich über maximal zwölf Seemeilen vor der Küste erstreckt, weitreichende Handlungsoptionen; dort dürfen sie, wie die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einer Studie festhält, bereits das bloße „Ausspähen von Infrastruktur … mit allen erforderlichen Mitteln unterbinden“.[3] Schon in Meerengen aber sind die Zugriffsmöglichkeiten laut der SWP begrenzt und lediglich dann gegeben, wenn ein Schiff vom „Regime der Transitdurchfahrt“ signifikant abweicht, so etwa, wenn es ziellos hin und her fährt.

 

Die Freiheit der Schifffahrt

Kaum Handlungsmöglichkeiten haben Anrainer in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), die bis 200 Kilometer vor der Küste reicht und in denen die Küstenstaaten alleiniges Recht auf den Abbau von Bodenschätzen und auf Fischerei haben – mehr aber offiziell nicht. Da die AWZ nicht zum Hoheitsgebiet des Küstenstaats zählt, genössen dort alle Staaten die „Freiheit der Schifffahrt“, hält die SWP fest.[4] Umstritten ist, wie die SWP ´schreibt, ob die Anrainer in der AWZ womöglich „ungeschriebene Rechte und Befugnisse haben“, um dort „ihre Sicherheitsinteressen … durchzusetzen“. Die Position, dass dies so sei, vertreten zahlreiche Staaten insbesondere des Globalen Südens; sie legen, die Kanonenbootpolitik der alten Kolonialmächte noch in Erinnerung habend, etwa fest, dass militärische Aktivitäten fremder Mächte dort nur in Abstimmung mit dem Küstenstaat stattfinden dürfen. Umgekehrt vertreten die USA laut SWP die Position, dass „militärische und nachrichtendienstliche Erkundungstouren in der AWZ anderer Staaten“ jederzeit möglich sind. Die Staaten Europas schließen sich dem im Wesentlichen an. Die Position ermöglicht westlichen Kriegsschiffen etwa Patrouillenfahrten im Südchinesischen Meer und beliebige Durchquerungen der Straße von Taiwan.

 

NATO-Initiativen

Die NATO hat inzwischen allerlei Initiativen gestartet. So ist im Mai 2024 – auf Beschluss der NATO-Verteidigungsminister vom Februar 2024 – zum ersten Mal das Critical Undersea Infrastructure Network im NATO-Hauptquartier in Brüssel zusammengekommen. Ziel war es, Mittel und Wege zu finden, um Gegner von Attacken auf die Infrastruktur am Meeresboden abzuhalten.[5] Ebenfalls im Mai 2024 nahm das neue NATO Maritime Centre for Security of Critical Undersea Infrastructure (CUI) vorläufig den Betrieb auf.[6] Es soll gleichfalls Maßnahmen zum Schutz von Pipelines sowie Unterwasserkabeln entwickeln, und es bezieht Industrieunternehmen in seine Tätigkeit ein. Angesiedelt ist es unmittelbar beim Allied Maritime Command (MARCOM), dem NATO-Marinehauptquartier, das in Northwood im Nordwesten Londons beheimatet ist.

„Ändern oder uminterpretieren“

Am gestrigen Dienstag haben nun die Staats- und Regierungschefs der acht an der Ostsee liegenden NATO-Staaten, darunter Deutschland, neue Schritte zum Schutz der dortigen Unterwasserinfrastruktur initiiert. Man sei „entschlossen, Sabotageversuche abzuschrecken, aufzudecken und zu bekämpfen“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung; „jeder Angriff auf unsere Infrastruktur“ werde künftig „mit einer robusten und entschlossenen Antwort beantwortet“.[7] Unter dem Einsatznamen Baltic Sentry (Ostsee-Wache) wollen die NATO-Ostseeanrainer Kriegsschiffe, U-Boote und Aufklärungsflugzeuge entsenden. Zum Einsatz kommen sollen unter anderem auch Unterwasserdrohnen. Wie die beteiligten Staaten [8] im Detail vorgehen wollen, ist nicht bekannt. Berichten zufolge passieren täglich rund 2.000 Schiffe die Ostsee; zudem lässt das internationale Seerecht es nicht zu, Schiffe fremder Staaten jenseits der Küstengewässer zu stoppen oder gar zu entern. Finnland fordert daher, man solle nach Wegen suchen, das internationale Seerecht zu ändern oder es zumindest umzuinterpretieren.[9] Gesteuert werden sollen die NATO-Aktivitäten von der Commander Task Force Baltic im deutschen Marinekommando in Rostock.[10]

 

Der Zwei-plus-Vier-Vertrag

Sollten Soldaten dorthin entsandt werden, die anderen NATO-Staaten entstammen, dann wäre dies ein offener Bruch des Zwei-plus-Vier-Vertrags. In diesem heißt es über die fünf östlichen Bundesstaaten: „Ausländische Streitkräfte … werden in diesem Teil Deutschlands weder stationiert noch dorthin verlegt.“[11]

 

[1] China admits container ship Newnew Polar Bear damaged undersea gas pipeline. news.err.ee 12.08.2024.

[2] Launch of international advisory body to support resilience of submarine telecom cables. itu.int 29.11.2024.

[3], [4] Christian Schaller: Spionage und Sabotage vor Europas Küsten – Kritische Infrastruktur im Fadenkreuz. SWP-Studie 2024/S 08. Berlin, 28.02.2024.

[5] NATO holds first meeting of Critical Undersea Infrastructure Network. nato.int 23.05.2024.

[6] NATO officially launches new Maritime Centre for Security of Critical Undersea Infrastructure. mc.nato.int 28.05.2024.

[7] Joint Statement of the Baltic Sea NATO Allies Summit. presidentti.fi 14.01.2025.

[8] Beteiligt sind Deutschland, Dänemark, Schweden, Finnland, Estland, Lettland, Litauen und Polen.

[9] Schutz vor hybriden Angriffen in Zeiten des „Unfriedens“. Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.01.2025.

[10] NATO verstärkt Überwachung der Ostsee – Koordinierung von Rostock aus. ndr.de 14.01.2025.

[11] Bernhard Klaus: Rostock und der Zwei-plus-Vier-Vertrag. imi-online.de 24.10.2024.

 

https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9825