Es ist ein Moment, der die politische Landschaft Deutschlands nachhaltig verändern könnte. Die AfD, seit Jahren isoliert und von den etablierten Parteien als Paria behandelt, steht vor einem potenziellen Durchbruch im Bundestag. Zum ersten Mal seit ihrem Einzug ins Parlament im Jahr 2017 könnte die Partei als bedeutender Mehrheitsbeschaffer für Anträge der Union auftreten. Auf die parteitaktischen Spielchen der Merzel-CDU, die die AfD in ihrem Antrag direkt angreift und diffamiert, will man sich nicht einlassen: Stattdessen stellt die AfD das Wohl des Landes und der Bevölkerung in den Fokus.
von Heinz Steiner und Vanessa Renner
Die AfD-Parteiführung diskutiert eine Strategie, die nicht weniger als das Ende der sogenannten Brandmauer zwischen Union und AfD bedeuten könnte. Die Empfehlung an die 76 Abgeordneten der AfD-Fraktion: Zustimmung zu drei Anträgen der Union, die eine Verschärfung der Migrationspolitik fordern.
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Die Anträge der Union umfassen einen “Fünf-Punkte-Plan” zur Reduzierung illegaler Migration, einen Antrag zur inneren Sicherheit und einen Gesetzesentwurf zur “Zustrombegrenzung”. Unumstritten sind die Pläne der Union auch unter Konservativen nicht, weil sie Überwachungsmaßnahmen beinhalten, die nicht nur gegen Straftäter, sondern auch einfache Bürger eingesetzt werden könnten. Besonders der Gesetzesentwurf enthält aber auch eben jene Maßnahmen, die im Programm der AfD zu finden sind: mehr Kompetenzen für die Bundespolizei, ein Ende des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte und eine konsequentere Abschiebepraxis. Das Bekenntnis zu echter Remigration fehlt freilich – das bekommt man nur von der AfD.
Für die AfD ist dies dennoch die Gelegenheit, sich als pragmatische Kraft zu beweisen. Alice Weidel hatte bereits klargestellt, dass man zielführenden Anträgen zustimmen würde, weil das Wohl des Landes wichtiger sei als ideologischer Dogmatismus oder Parteitaktik. Diese Einstellung ist in der deutschen Parteienlandschaft derzeitig ein Alleinstellungsmerkmal. Die eher peinlichen Attacken auf die AfD im CDU-5-Punkte-Plan treffen die AfD wenig: “Wir können mit den üblichen Spitzen gegen die AfD umgehen”, erklärte Fraktionschefin Alice Weidel am Montag gegenüber RTL/ntv. “Wenn die CDU es endlich ernst meint mit einer seriösen Migrationspolitik, werden wir dem natürlich zustimmen.”
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CDU-Chef Friedrich Merz täuschte in den letzten Monaten immer wieder ein Umdenken an, erwies sich jedoch als Umfaller, der nach linksgrünen Empörungsschreien eilig zurückruderte und kritische Aussagen in Rekordgeschwindigkeit zurücknahm. Nach der tödlichen Messerattacke eines ausreisepflichtigen Afghanen in Aschaffenburg hat die Union ihre Forderungen nach einer härteren Migrationspolitik verschärft. Was in der Sache richtig wäre, werde nicht falsch dadurch, dass die Falschen zustimmen, erklärte Merz am Montag in einer Pressekonferenz. Als die “Falschen” kann man dabei sicher nicht die AfD bezeichnen, die als einzige Kraft seit Jahren für exakt die Politik kämpft, die die CDU nun plötzlich auch umsetzen will. Mit derlei Rhetorik entlarvt Merz sich selbst.
Für eine Mehrheit im Bundestag reicht die Unterstützung von Union und AfD allein nicht aus. Auch die FDP müsste zustimmen, und Fraktionschef Christian Dürr signalisierte am Montag Bereitschaft dazu. “Die Vorschläge der Union gehen grundsätzlich in die richtige Richtung, und deswegen werden wir dem Fünf-Punkte-Plan der CDU/CSU-Fraktion auch unsere Zustimmung erteilen”, sagte Dürr laut Medienberichten. Gleichzeitig betonte er, dass die FDP eigene Anträge einbringen werde, die unter anderem eine Neuauflage des Flüchtlings-Deals mit der Türkei und eine an Rücknahmeabkommen geknüpfte Entwicklungshilfe fordern. Hoffnung liegt zudem auch auf fraktionslosen Abgeordneten.
Von linksgrüner Seite ist der Aufschrei derweil immens: Die Politik der ungebremsten Massenmigration soll nicht beschränkt, sondern ausgeweitet werden. Die Grünen werben jetzt mit noch einfacherem Familiennachzug: Während “Biodeutsche” und integrierte Bürger mit Migrationshintergrund die schädliche Flutung des Landes endlich beendet wissen wollen, möchten die Grünen die Schleusen noch weiter öffnen.
Fällt die Brandmauer?
Sollte die AfD als Mehrheitsbeschaffer für die Unions-Anträge auftreten, wäre dies das Novum in der Geschichte des Bundestags, das die Mehrheit der Bevölkerung fordert. Es wäre nicht nur ein symbolischer Sieg für die AfD, sondern auch ein Signal an die Wähler, dass die Partei sehr wohl in der Lage ist, politische Entscheidungen maßgeblich zu beeinflussen (und dass die Wahl der AfD sich entsprechend auszahlt).
Für die Union hingegen birgt dieser Schritt Risiken. Die Zusammenarbeit – auch wenn sie nur indirekt erfolgt – könnte die Brandmauer endgültig einreißen. Was gut für Deutschland ist, gefährdet für Altparteien den Machterhalt. Einerseits könnten CDU-Wähler, die die Erzählungen der bösen und gefährlichen AfD schlucken, verprellt werden, andererseits könnten jene, die die CDU nur wählen wollen, weil sie die Stimme an die AfD aufgrund der Brandmauer als verschenkt betrachten, ihr Kreuz doch lieber bei den Blauen machen. Allerdings führte schon die ständige Anbiederung an den linksgrünen Zeitgeist seit der Ära Merkel für eine Abwendung vieler traditioneller Unionswähler, sodass eine Rückbesinnung auf die eigentlichen konservativen Werte durchaus auch zu einer gewissen Konsolidierung führen könnte.