5. Februar 2025

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Agentur für Arbeit: Firma muss Flüchtlingen mehr bezahlen als den Deutschen

 

Zwei Flüchtlingen müssen 14 Euro pro Stunde bezahlt werden, ansonsten darf sie eine Firma in Weingarten nicht einstellen: So lautet die Anweisung der Agentur für Arbeit! Deutsche verdienen weniger – das sorgt für Emotionen.

Dies ist eine Geschichte, die Spitzenpolitiker, Unternehmer, Arbeitnehmer und Entscheider der Agentur für Arbeit unbedingt lesen sollten. Dies ist eine Geschichte, die beispielhaft aufzeigt, was in Deutschland falsch läuft – obwohl ein Amt vorschriftsgemäß handelt.

Die Geschichte beginnt mit der Anfrage einer Flüchtlingssozialarbeiterin aus Bad Waldsee bei der Firma SV Druck GmbH – einer Tochterfirma der SV Gruppe, zu der auch schwäbische.de gehört – in Weingarten. Die Mitarbeiterin bittet darum, zwei Flüchtlinge zu beschäftigen, die unbedingt arbeiten möchten. Fleißige, leistungsfähige Menschen, die ansonsten arbeitslos blieben und von staatlicher Unterstützung leben müssten.

 

Arbeitsverträge unterschrieben

Die Personalabteilung kommt der Bitte im Januar 2025 nach. Beide Flüchtlinge erhalten Arbeitsverträge als Helfer im Versand der SV Druck GmbH. Die Tätigkeiten werden mit dem gesetzlichen Mindestlohn von 12,82 Euro vergütet. Arbeitsbeginn sollte der 1. Februar 2025 sein – und alle waren zuversichtlich: Flüchtlinge, Arbeitgeber, Sozialarbeiterin.

Es fehlte nur noch ein formaler Akt: die Zustimmung der Ausländerbehörde im Amt für Migration und Integration.

 

Ausländerbehörde kassiert die Verträge

Überraschung jedoch: Die Behörde, die beim Landratsamt Ravensburg angesiedelt ist, schrieb am 20. Januar in einem Brief an die Flüchtlinge: „Der Beschäftigung wird nicht zugestimmt (…), da die Beschäftigungsbedingungen nicht den ortsüblichen Rahmenbedingungen für einen Helfer in der Versandabteilung entsprechen. Die ortsübliche Entlohnung wird bei mindestens 14,00 Euro/Stunde festgemacht.“

Und weiter: „Bitte beachten Sie, dass die Aufnahme der Beschäftigung trotz versagter Beschäftigungserlaubnis strafrechtlich geahndet werden kann.“

 

14 Euro Stundenlohn gefordert

In Kurzfassung: Für 14 Euro pro Stunde dürften die Flüchtlinge arbeiten, aber nicht zum gesetzlichen Mindestlohn von 12,82 Euro. Auf Nachfrage beim Landratsamt teilt Sprecherin Julia Moosherr mit: „Bei Personen, welche sich in einem laufenden Asylverfahren befinden, muss unser Amt für Migration und Integration die Bundesagentur für Arbeit insofern beteiligen, das deren Zustimmung zur beabsichtigten Beschäftigung eingeholt werden muss. Die Bundesagentur für Arbeit hat die Zustimmung jedoch versagt. Die Ausländerbehörde hat keinerlei Einfluss auf die Entscheidung der fachlich nicht weisungsgebundenen Bundesagentur für Arbeit.“

 

Gehälter verglichen

Soll heißen: Treibende Kraft bei der Ablehnung war die Agentur für Arbeit. Auf Nachfrage, warum der Mindestlohn für die beiden Flüchtlinge höher sein sollte als der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland teilt Pressesprecherin Eva Schmid mit: „Bei der Prüfung der Arbeitsbedingungen stellt der allgemeine gesetzliche Mindestlohn die unterste Grenze der Entlohnung dar und kommt erst zum Tragen, wenn kein ortsübliches Entgelt ermittelt werden kann.

Für die Tätigkeit „Mitarbeiter Versandabteilung“ ergibt sich, unter Berücksichtigung der o.g. Vorgehensweise, ein ortsübliches Mindestentgelt von 14,00 EUR/Std. Zum Vergleich: Der Entgeltatlas ermittelt für die entsprechenden Referenzberufe „Helfer – Druck“ ein Entgelt von 2769,00 EUR bei 40 Wochenstunden (15,98 EUR/Std) bzw.  Helfer/in – Lagerwirtschaft, Transport ein Entgelt von 2.863,00 EUR bei 40 Wochenstunden (16,52 EUR/Std).“

 

Deutsche verdienen nur 12,82 Euro

Die Antwort löste – zurückhaltend formuliert – Verwunderung bei der Personalabteilung der SV Druck GmbH aus. Dort stellt man klar: Faktisch werden bei der SV Druck alle Versandhilfstätigkeiten mit dem gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 12,82 Euro brutto vergütet.

Würde man die Flüchtlinge zum geforderten Mindestlohn von 14 Euro pro Stunde einstellen, würden sie mehr verdienen als deutsche Kollegen. Mögliche Folge natürlich: Die Mitarbeiter reden irgendwann über ihre Gehälter – und deutsche Kollegen könnten nicht verstehen, warum Flüchtlinge für die gleiche Tätigkeit einen höheren Stundenlohn beziehen.

 

Verträge wieder gekündigt

Um keinen Unfrieden ins Unternehmen zu tragen, wurden die Verträge mit den Flüchtlingen jetzt gekündigt – noch vor dem ersten Arbeitstag. Seitdem wird auf zahlreichen Ebenen diskutiert.

Es geht um die Frage, wie die Bundesagentur für Arbeit den geforderten Mindestlohn von 14 Euro in Weingarten berechnet hat. Sprecherin Schmid teilt dazu mit: „Bei Ermittlung des ortsüblichen Lohns wird auf repräsentative und belastbare Quellen abgestellt, dazu gehören u.a. der Entgeltatlas oder beispielsweise der Tarifvertrag der Zeitarbeit (IGZ).“

 

Entgeltatlas wichtig

In diesem Entgeltatlas scheinen bei der SV Druck GmbH faktisch bezahlte Löhne von 12,82 Euro jedoch nicht einzufließen. Auch nicht die zum Lohn hinzukommenden Nachtzuschläge von 25 Prozent ab 20 Uhr bzw. 40 Prozent ab 0.00 Uhr, mit denen die Flüchtlinge – wie auch die übrigen Mitarbeiter, die dort abends und nachts arbeiten – auf einen Stundenlohn von weit mehr als 14 Euro kommen würden. Übergeordnet geht’s natürlich um die Frage, warum sich die Bundesagentur für Arbeit über den gesetzlichen Mindestlohn hinwegsetzen darf – und selbstständig Stundenlöhne in der freien Wirtschaft festlegen kann.

Behördensprecherin Schmid schreibt dazu: „Die BA ist zur Prüfung der Arbeitsbedingungen in allen Fällen einer Zustimmungsanfrage gesetzlich verpflichtet. Geregelt ist dies in § 39 Aufenthaltsgesetz.“

Fazit: Formal hat die Agentur für Arbeit offenbar richtig gehandelt. Faktisch bleiben jedoch zwei Flüchtlinge arbeitslos, die gerne arbeiten wollten.

 

 

https://www.schwaebische.de/wirtschaft/arbeitsamt-fluechtlinge-wollen-arbeiten-duerfen-aber-nur-wenn-sie-mehr-verdienen-als-die-kollegen-3291921