Weil die Preise in Europa höher sind als in anderen Märkten, fokussieren sich die amerikanischen Energiekonzerne in Sachen Flüssigerdgas (LNG) stärker auf Europa. Anstatt günstigem russischem Gas via Pipeline gibt es für den „Alten Kontinent“ nun teures, via Tanker geliefertes Fracking-Gas.
Ein Kommentar von Heinz Steiner
Als aufmerksamer Beobachter der globalen energiepolitischen Entwicklungen kann ich nur mit Kopfschütteln verfolgen, wie Europa bereitwillig in die nächste energiepolitische Abhängigkeit schlittert. Die Zahlen des vergangenen Novembers, über die die „Berliner Zeitung“ berichtet, sprechen eine deutliche Sprache – und sie erzählen die Geschichte einer strategischen Unterwerfung.
Mit geradezu atemberaubender Geschwindigkeit hat sich der amerikanische LNG-Export nach Europa auf nie dagewesene 5,09 Millionen Tonnen katapultiert – sage und schreibe 68 Prozent der gesamten US-Flüssiggasexporte. Ein Rekord, der die geopolitischen Machtverschiebungen unserer Zeit eindrucksvoll dokumentiert. Anstatt von „sauberem“ russischen Pipelinegas werden die Europäer sukzessive von schmutzigem US-amerikanischen Flüssigerdgas abhängig – und das auch noch zu extrem hohen Preisen.
Während die europäischen Gaspreise im November auf 12,90 Dollar pro MMBtu kletterten, reiben sich die amerikanischen Energiekonzerne die Hände. Die Preisdifferenz zu anderen Märkten hat einen regelrechten Goldrausch ausgelöst. Das „Arbitrage-Fenster“, wie es die Händler an der Wall Street nennen, steht sperrangelweit offen. Besonders bemerkenswert ist die schleichende Transformation der Importabhängigkeit: Innerhalb nur eines Jahres ist der US-Anteil an Europas LNG-Importen von 13,5 auf 20 Prozent gestiegen. Eine Entwicklung, die man in Washington zweifellos mit Genugtuung zur Kenntnis nimmt.
Die ökologische Dimension dieser Entwicklung grenzt an Realsatire: Während die EU-Kommission nicht müde wird, ihre globalistischen, linksgrünen Klimaziele zu proklamieren, importiert sie in steigendem Maße Fracking-Gas, dessen Methan-Bilanz jeder wissenschaftlichen Überprüfung spottet. Die Cornell-Universität hat nachgewiesen, dass amerikanisches LNG über seinen gesamten Lebenszyklus bis zu 33 Prozent mehr der sogenannten Treibhausgase freisetzt als Kohle – eine unbequeme Wahrheit, die in Brüssel geflissentlich ignoriert wird.
Die Bruegel-Analysten warnen bereits vor erhöhter Preisvolatilität durch die wachsende LNG-Abhängigkeit. In der Tat: Europas Industrie und Verbraucher werden zum Spielball globaler Preisschwankungen, während die amerikanische Fracking-Industrie ihre Profite maximiert. Was wir hier beobachten, ist nichts weniger als eine strategische Neuordnung des globalen Energiemarktes – mit Europa als willigem Abnehmer zu Premiumpreisen. Die vielgepriesene Diversifizierung entpuppt sich als Euphemismus für einen simplen Austausch der Abhängigkeiten.
Die zentrale Frage, die sich mir aufdrängt: Ist Europa dabei, seine energiepolitische Souveränität auf dem Altar kurzfristiger Versorgungssicherheit zu opfern? Die Antwort liegt auf der Hand, doch in den Korridoren der Macht in Brüssel scheint man die Zeichen an der Wand nicht sehen zu wollen. Die amerikanische LNG-Offensive markiert einen Wendepunkt in der europäischen Energiepolitik. Während die Politik von Versorgungssicherheit und Diversifizierung spricht, vollzieht sich in Wahrheit eine fundamentale Machtverschiebung – mit weitreichenden Konsequenzen für Europas wirtschaftliche und politische Zukunft.