+Sie mutieren zu Zahleseln für die halbe Welt: Wer in Deutschland Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung zahlt, finanziert den geplünderten Sozialstaat quer und darf für immer schlechtere Gesundheitsleistungen immer mehr Geld berappen. Weil die Deutschen in dieses System aber hineingezwungen werden, tun viele alles, um monatlich wenigstens ein paar Euro zu sparen. Das scheint nun bereits durch fragwürdige Methoden von den Krankenkassen ausgenutzt zu werden, denn die kämpfen untereinander erbittert um Beitragszahler.
Ein Kommentar von Vanessa Renner
Als vor wenigen Monaten die Erhöhungen der individuellen Zusatzbeiträge deutscher Krankenversicherungen publik wurden, kam es bei Beitragszahlern zu einer starken Wechselbewegung hin zur BKK Firmus, die mit dem günstigsten Zusatzbeitrag warb. Hatten manche Kassen ihre Versicherten mit neuen Zusatzbeiträgen von sogar mehr als 3 Prozent überrollt, lag der der BKK Firmus “nur” bei 1,84 Prozent. Die zweitgünstigste Krankenkasse war (und ist) die hkk Krankenkasse mit 2,19 Prozent, die aber eine bessere Betreuung und etwas mehr Zusatzleistungen bietet. Der Vorteil der niedrigeren Beiträge: Günstige Kassen locken natürlich vor allem jene an, die am meisten zahlen müssen – anderen ist der Wechsel oft zu umständlich. Diese Kassen stocken ihre Mitgliederschaft somit tendenziell durch finanzstärkere Versicherte auf.
Die Abwanderung für sich ist aber bereits entlarvend: Für den durchschnittlichen Angestellten (in Deutschland blenden viele Menschen den Arbeitgeberanteil an der Sozialversicherung aus Unwissenheit oder Ignoranz aus) bedeutet ein solcher Wechsel nämlich “nur” einen ein- bis zweistelligen Eurobetrag mehr vom Netto im Monat. An den horrenden Sozialversicherungsbeiträgen lässt sich nämlich nichts rütteln – die gesetzlichen Krankenkassen unterscheiden sich finanziell nur durch die Höhe ihres Zusatzbeitrags. Doch viele Menschen sind auch auf dieses kleine Plus an Geld angewiesen oder wollen zumindest einen erhobenen Mittelfinger an andere Krankenkassen senden, die beim Zusatzbeitrag noch stärker abkassieren.
Täuschung? Scharfe Kritik von der Konkurrenz an BKK Firmus
Je nach Zeitpunkt der Anmeldung trat der Krankenkassenwechsel für die meisten neuen Versicherten der BKK Firmus im März oder April in Kraft. Und raten Sie mal? Schon zum 1. Mai erhöht diese Krankenkasse nun ihren Zusatzbeitrag – auf 2,18 Prozent. Das erfahren die Versicherten erst jetzt, Ende April. Damit liegt die Kasse strategisch noch 0,01 Prozent unter der hkk, um sich weiter als günstigste gesetzliche Krankenversicherung Deutschlands positionieren zu können. Für viele Versicherte bedeutet das aber nun, dass sie finanziell keinen Nutzen mehr aus dem Wechsel ziehen – dafür aber vielleicht auf Vorteile verzichten, die sie bei ihrer alten Kasse hatten. Bis der nächste Wechsel abgeschlossen ist, vergehen dann wieder drei Monate. In sozialen Netzwerken wie Reddit hält sich das Verständnis für diese rasche Erhöhung entsprechend in Grenzen – User fühlen sich getäuscht, einige kündigten prompt den nächsten Krankenkassenwechsel an.
Wenig freundliche Worte erntet die BKK Firmus aktuell auch von der AOK Bremen/Bremerhaven. Deren Vorstandsvorsitzender prangert das Vorgehen scharf an: „Wenn eine Kasse wie die BKK Firmus nur vier Monate nach einer auffällig niedrigen Festsetzung ihren Beitragssatz nach oben korrigiert, dann trickst sie und führt die Beitragszahler hinters Licht.” Das einzige Ziel sei es gewesen, Mitglieder von anderen Kassen wegzulocken – “unter der Vorspiegelung falscher Tatsachen”, heißt es in einer entsprechenden Pressemitteilung. Denn die Begründung der BKK – unvorhergesehene Krankenhausausgaben – weist die AOK zurück: „Die AOK Bremen/Bremerhaven unterliegt den gleichen Marktgesetzen wie die BKK Firmus. Wir haben in unserem aktuellen Haushalt natürlich von vornherein auch zu erwartende Kostensteigerungen im Krankenhaus mit eingeplant. Auf eine solche vorausschauende Planung müssen Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen auch vertrauen können.“
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Das System ist krank
Das Einzige, worauf Versicherte noch vertrauen können, sind aber stetig steigende Beiträge. Zwar äußern einzelne Krankenkassenchefs inzwischen Kritik an der Querfinanzierung des Sozialstaats durch die Versicherten, doch echte Systemkritik sucht man vergeblich. Gefordert wird höchstens, dass der Staat die Beiträge für Bürgergeldempfänger vollständig statt nur teilweise übernimmt. Nicht aber, den Sozialstaat nicht länger als Selbstbedienungsladen für alle Welt anzubieten. An einer Bekämpfung der Ursachen besteht offensichtlich kein Interesse.
Es geht hier eben nicht um gerechte Gesundheitsversorgung. Es geht um Marktanteile, um Einnahmen, um Wettbewerb mit allen Mitteln. Wozu eigentlich? Der gesetzlich Versicherte wartet unabhängig davon, von welcher Krankenkasse er geplündert wird, monatelang auf Facharzttermine, wird, wenn er es endlich bis ins Arztzimmer schafft, ungeachtet möglicher Wechselwirkungen regelrecht wahllos mit Medikamenten zugeschüttet und nach zwei Minuten aus der Tür geschoben. Und wenn der Tabletten-Cocktail nicht wirkt, dann hat er eben Long Covid (früher: “Burnout”) und soll bitte Spezialisten damit belästigen (sprich: endlich die Praxis verlassen, denn das Wartezimmer ist voll).
Dass die Bürger nun inzwischen wegen ein paar Euro mehr vom Netto bereitwillig von Krankenkasse zu Krankenkasse wechseln, ist ein beispielloses Armutszeugnis. Die knapp 100 gesetzlichen Krankenversicherungen in Deutschland verballern einen Teil der angeblich immer noch viel zu niedrigen Beitragsgelder für ihre Verwaltung, ihre jeweiligen IT-Systeme, ihren Vorstand und ihre PR-Abteilung. Dafür, dass die einzigen Unterschiede für Versicherte im Umfang der allgemein schwächlichen “Bonusprogramme” und der Qualität der jeweiligen App bestehen – für die meisten Menschen zählt ohnehin nur, ob denn freundlicherweise wenigstens eine professionelle Zahnreinigung im Jahr übernommen wird und ob man jemanden ans Telefon bekommt, wenn es mal Fragen oder Probleme gibt. Das ist kein echter “Wettbewerb”, schon gar keiner, von dem die Bürger einen Nutzen hätten.
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“Solidarsystem”, das Zwietracht sät
Die Folgen eines solchen “Solidarsystems” kann man sich ausmalen: Natürlich fragen sich mehr und mehr Menschen, ob der Raucher, der unliebsame dicke Nachbar, der Motorradfahrer, der Ungeimpfte mit Grippe oder, von der anderen Seite betrachtet, der Impfgeschädigte nicht gefälligst selbst für ihre Gesundheitskosten aufkommen sollten. Immerhin ist ja jeder irgendwie auch selbst für seine Gesundheit und seine Zipperlein verantwortlich. Schuld kann man leicht zuschreiben: Das Unfallopfer hätte ja auch nicht genau zu diesem Zeitpunkt über diese Kreuzung gehen müssen, oder? Wenn es sich nicht gerade um Sozialhilfeempfänger handelt, blechen diese Menschen aber ihrerseits selbst für die Allgemeinheit. Also alle “Schmarotzer”, die nicht einzahlen, raus? Wo zieht man aber Grenzen? Wie schützt man zum Beispiel die Kranken und Alten, die das System in der Vergangenheit auch selbst mit am Laufen hielten? Auch ihnen wurde Geld für die Allgemeinheit weggenommen – hätten sie es gespart und angelegt, könnten sie heute vielleicht selbst für ihre Behandlungen aufkommen.
Viele fordern nicht bloß, dass der Staat vollständig für Nichtzahler aufkommt, sondern auch, dass das System grundlegend reformiert wird. “Alles für alle” funktioniert nachweislich nicht – es versklavt nur auf ungerechte Weise die Leistungsträger. Es kann kein “Menschenrecht” sein, andere für sich bezahlen zu lassen. Was der Staat sich anlacht – etwa, indem er “Flüchtlinge” ins Bürgergeld lockt -, dann aber nicht finanziert, kann nicht einfach beliebig auf Beitragszahler umgewälzt werden. Die Allgemeinheit kann auch nicht für absurde Gendermedizin, unnötige Behandlungen oder lustige “Kuren” und Lifestyle-Therapien ohne messbaren Nutzen aufkommen. Selbiges gilt für das übermäßige Verschreiben von Medikamenten – Antidepressiva beispielsweise werden den Menschen regelrecht nachgeworfen, obwohl ihre Wirkung allgemein überschätzt wird und sie in Studien kaum besser als Placebos abschneiden.
Oft ist in der öffentlichen Debatte inzwischen die Rede von einer Bürgerkasse mit einem Basistarif für jedermann, die dann bei Bedarf durch individuelle Zusatzpakete oder -versicherungen privat ergänzt (und bezahlt) werden kann. Das könnte am Ende auch dazu führen, dass mehr Menschen sich bewusst mit ihrer Gesundheit auseinandersetzen und mehr Fokus auf Prävention legen, statt weiter als brave Zahnrädchen in diesem lukrativen Krankensystem zu fungieren. Die offenen Geldhähne der Versicherungen sind nämlich ein verheerendes Signal an Gesundheitseinrichtungen, die den Profit in den Vordergrund stellen – zum Nachteil aller. Die Krankenkassen sind Teil des Problems. Marketingsprüche ändern daran nichts.
Anlocken und Beiträge erhöhen? Der unwürdige Umgang der Krankenkassen mit den Bürgern