21. März 2025

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Berlin sucht Wissenschaftler aus den USA nach Deutschland zu holen, die von der Trump-Administration in Massen entlassen werden

Zugleich werden in der Bundesrepublik Klagen über eingeschränkte Wissenschaftsfreiheit laut.

19
Mär
2025
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BERLIN/WASHINGTON (Eigener Bericht) – Die scheidende Bundesregierung sucht die Massenentlassung von Wissenschaftlern durch die Trump-Administration zu nutzen, um „die besten Köpfe der Welt“ nach Deutschland zu holen. Wie Wissenschaftsminister Cem Özdemir erklärt, müsse man „deutlich machen“, dass Spitzenforscher aus den USA „in Deutschland willkommen“ seien, wenn sie in den Vereinigten Staaten „keine Möglichkeiten mehr für sich sehen, frei zu forschen“. Özdemir will das nicht als „Abwerbung“ verstanden wissen, sondern als „brain circulation“. In den USA sind mittlerweile tausende Wissenschaftler entlassen worden, weil sie auf Forschungsfeldern tätig sind, die die Trump-Regierung nicht bearbeitet sehen will, so etwa Klima- oder Impfforschung. Aus der Max-Planck-Gesellschaft heißt es, es zeichne sich bereits eine deutliche Zunahme an Bewerbungen von US-Wissenschaftlern ab. Der Versuch, diese nach Deutschland zu holen, erfolgt zu einer Zeit, zu der große deutsche Wissenschaftsorganisationen wegen zu magerer Finanzierung und überbordender Bürokratie vor internationalem Rückstand warnen. Zudem beklagen Wissenschaftler, in Deutschland werde die Meinungsfreiheit ebenfalls eingeschränkt – beim Nahostkonflikt.

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Orwell’sche Beschränkungen

Die Attacken der neuen US-Administration auf den amerikanischen Wissenschaftsbetrieb hatten bereits kurz nach dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump begonnen. Erste Wissenschaftler wurden wegen Mittelkürzungen oder der Teilauflösung ganzer Behörden arbeitslos. Längst ist von Tausenden die Rede, die ihren Job verloren haben. Betroffen sind unter anderem die Centers for Desease Control and Prevention (CDC), die während der Covid-19-Pandemie eine bedeutende Rolle spielten, die National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA), die für die Klimaforschung wichtig ist, und die Raumfahrtbehörde NASA.[1] Auch an Hochschulen werden zahllose Stellen gestrichen. Die traditionsreiche britische Zeitschrift Nature schrieb Ende Februar in einem weithin beachteten Beitrag, zusätzlich zu den Streichungen seien „Orwell’sche Beschränkungen für die Forschung“ zu beklagen; so seien Studien nicht mehr erlaubt, die „bestimmte Begriffe“ bezüglich „Geschlecht, Rasse, Behinderung“ nutzten. Es gehe offenkundig darum, die unabhängige Wissenschaft zu stoppen.[2] Zu den Forschungsfeldern, die besonders stark betroffen sind, zählen die Klimaforschung und diverse Bereiche der Sozialwissenschaften, aber auch die weitere Erforschung der Vogelgrippe, die zur Zeit in den USA grassiert und zu einer Knappheit an Eiern führt.

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„Eine großartige Gelegenheit“

Erste US-Wissenschaftler haben inzwischen angefangen, nach Arbeitsstellen außerhalb der Vereinigten Staaten zu suchen und das Land zu verlassen. Das gilt auch für manche, die von den Streichungen und den Entlassungen noch nicht betroffen sind, aber wegen der starken ideologischen Restriktionen fürchten, in den USA keine Zukunft mehr zu haben. So berichtet der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Patrick Cramer, die Bewerbungen von US-Wissenschaftlern bei den 84 Instituten der Organisation hätten sich inzwischen verdoppelt, in einigen Fällen sogar verdreifacht. Für „Europa als Forschungsstandort“ sei dies zweifellos „eine großartige Gelegenheit“, auch wenn es für die Wissenschaft weltweit „ein klarer Schritt rückwärts“ sei.[3] Immer mehr europäische Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen ziehen inzwischen Schritte in Betracht, um US-Wissenschaftler anzuwerben. So will etwa der European Innovation Council (EIC) in Kürze ein Konzept dafür diskutieren. Die EU-Kommission zieht eine vereinfachte Visavergabe in Betracht. Auch China und Südkorea sind dabei, sich verstärkt um US-Wissenschaftler zu bemühen, die ihre Stelle in den Vereinigten Staaten verloren haben oder das Land verlassen wollen, da sie das in absehbarer Zukunft befürchten.

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„Die besten Köpfe der Welt“

Dies versucht nun auch der scheidende Bundeswissenschaftsminister Cem Özdemir. Özdemir hatte bereits kürzlich bei einem Besuch im Thünen-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei in Braunschweig, erklärt, manche Wissenschaftler in den USA trauten sich inzwischen nicht einmal mehr, „von ihrer Arbeitsstelle aus mit ihren Wissenschaftskollegen in der freien Welt zu konferieren“.[4] Für die Bundesrepublik gehe es nun „auch um die Frage, dass wir für die, die dort nicht mehr arbeiten können, ein attraktives Zielland werden“. Die neue Präsidentin des Thünen-Instituts, Birgit Kleinschmidt, äußerte: „Da geht gerade ein Fenster auf. Lassen Sie uns die besten Köpfe zurückholen.“ Inzwischen hat Özdemir nachgelegt. Man müsse „deutlich machen“, erklärte er am Montag: „Wenn Spitzenforscher in den USA keine Möglichkeiten mehr für sich sehen, frei dort zu forschen, sind sie in Deutschland willkommen“.[5] „Wir brauchen hier die besten Köpfe der Welt“, fuhr der Wissenschaftsminister fort – „ob es um Gesundheitsforschung, Klimaforschung oder Hightech geht“. Özdemir wollte dies freilich nicht als „bloße Abwerbung“ verstanden wissen; es handle sich bei dem Vorgang nicht um „brain drain“, sondern um „brain circulation“.

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Geldmangel und Bürokratie

Der Versuch, US-Spitzenforscher in größerer Zahl nach Deutschland zu holen, erfolgt zu einer Zeit, zu der große Wissenschafts- und Forschungsorganisationen in Deutschland klagen, die Forschung werde in der Bundesrepublik zu wenig gefördert, leide unter zu viel Bürokratie und könne sich deshalb nicht wie gewünscht weiterentwickeln. Die Forschungsausgaben in Deutschland beliefen sich 2023 auf rund 130 Milliarden Euro. Davon wurden gut zwei Drittel von der Wirtschaft getragen. Mit 3,11 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) waren die Forschungsausgaben weit von dem schon im Jahr 2018 beschlossenen Ziel entfernt, auf 3,5 Prozent des BIP zu steigen. Tatsächlich stagniert der Anteil mehr oder weniger, seit er 2017 auf drei Prozent gestiegen war. Wolle man international mithalten, müsse man vier Prozent des BIP erreichen, heißt es in einem Papier, das 24 Institutionen und Verbände mit Blick auf die Verhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD über eine künftige Regierungskoalition vorgelegt haben. Man brauche nicht nur mehr Geld; es schnüre auch „eine überbordende Zahl klein- und kleinstteiliger Regelungen, Vorschriften, unzureichende Verwaltungsdigitalisierung sowie Dokumentations- und Berichtspflichten“ die Freiräume der Wissenschaft immer mehr ein.[6]

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Deutschland fällt zurück

Bereits Ende Februar hatte die von der Bundesregierung beauftragte Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) gewarnt: „Bei der Generierung neuer, ökonomisch relevanter Ideen sowie bei der Entwicklung neuer Schlüsseltechnologien fällt das deutsche Forschungs- und Innovationssystem international zurück“.[7]

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Bevormundete Wissenschaft

Der Versuch, US-Wissenschaftler wegen der in den USA zunehmenden Einschränkung der Forschungsfreiheit nach Deutschland abzuwerben, erfolgt zu einem Zeitpunkt, zu dem in der Bundesrepublik gleichfalls eine deutlich wachsende Reglementierung von Wissenschaft und Forschung beklagt wird. Hintergrund sind insbesondere zwei Resolutionen, mit denen der Bundestag gegen Antisemitismus einzuschreiten vorgibt. Die erste, beschlossen am 7. November 2024, richtet sich gegen Antisemitismus allgemein, die zweite, verabschiedet am 30. Januar 2025, hat Antisemitismus spezifisch an Schulen und Hochschulen zum Ziel.[8] Beide nehmen eine international überaus umstrittene Definition zur Grundlage – die IHRA-Definition –, die es ermöglicht, praktisch jegliche Kritik am Staat Israel als antisemitisch zu diffamieren. Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Walter Rosenthal, erklärt, zumindest einige Forderungen der Resolution dürften „auch bei besten Absichten als Einfallstor für Einschränkungen und Bevormundung etwa in der Forschungsförderung verstanden werden“.[9] Der Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Ralf Michaels, urteilt, Berlin setze in der Sache „wesentlich auf Mittel, die in autoritären Staaten beliebt sind: Überwachung, Repression, Sicherheitskräfte“.

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https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9910

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