Der Bundestag hat eine Grundgesetzänderung beschlossen, um die Auswahl von Richtern am Verfassungsgericht zu erleichtern. Damit sollen Parteien wie AfD und BSW künftig bei der Auswahl der Richter umgangen werden können.
Bei der Wahl von Bundesverfassungsrichtern wird es künftig keine Sperrminorität geben – beispielsweise von AfD und BSW. Das beschloss der Bundestag am Donnerstag. Damit könnten kleinere Parteien künftig keinen Einfluss mehr auf die Richterwahl haben. Der Entwurf zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes von CDU, SPD, Grünen und FDP sieht klare Regelungen für den Fall vor, dass nicht zwei Drittel des Bundestags für einen Richterkandidaten stimmen, wie es im Moment notwendig ist.
In diesem Fall würde die Wahl derzeit abgelehnt werden, ein neuer Kandidat müsste aufgestellt werden. Künftig soll die Entscheidung dann nach einer abgelaufenen Frist an den Bundesrat weitergegeben werden, in welchem neu abgestimmt wird. Auch hier ist wieder eine Zwei-Drittel-Mehrheit vonnöten. AfD und BSW befürchten, dass Parteien, die nicht an der Bundes- oder an Landesregierungen beteiligt sind, daher künftig ausgeklammert werden könnten, weil der Bundesrat derzeit vor allem aus CDU- und SPD-Politikern besteht.
Selbiges gilt auch umgekehrt: Kommt im Bundesrat keine Zwei-Drittel-Mehrheit zustande, kann der Bundestag die Entscheidung treffen. Damit wiederum könnte verhindert werden, dass Bundesländer, die künftig beispielsweise einen AfD-Ministerpräsidenten erhalten, die Entscheidung im Bundesrat blockieren könnten.
Die Kritik an diesem Vorhaben: Damit könnte die Überparteilichkeit bei der Richterwahl abgeschwächt werden. Im Bundesrat sind seit jeher zwei Parteien überrepräsentiert: CDU und SPD. Auch die Grünen verfügen regelmäßig über eine wesentlich stärkere Präsenz als im Bundestag. Alle drei Parteien könnten daher praktisch im Alleingang Richterwahlen vornehmen. Wenn es im Bundestag keine Zwei-Drittel-Mehrheit gibt, dann entscheidet der Bundesrat. Die Sperrminorität wird de facto umgangen. Der breite überparteiliche Konsens, der bis dato für die Auswahl der Richter nötig war, wird in Teilen ausgehebelt.
Die aktuell gültige Gesetzeslage sieht die Wahl von 16 Richtern jeweils zur Hälfte durch den Bundesrat und den Bundestag vor. Wie bereits dargelegt bedarf es jeweils einer Zwei-Drittel-Mehrheit, ansonsten wird der betreffende Richterkandidat abgelehnt.
Je nach Situation könnte die Entscheidung jetzt aber sogar komplett von einem der beiden Häuser ausgehen – wenn beispielsweise im Bundestag für die acht Kandidaten keine Zwei-Drittel-Mehrheit zustande kommt. Nicht nur diese im Bundesverfassungsgerichtsgesetz verankerten Änderungen der Richterwahl werden eingeführt, auch das Grundgesetz erhält Neuerungen bezüglich der Funktion der Richter und des Gerichts.
Die Richteranzahl wird auf 16 Richter festgelegt, zudem wird die Amtszeit der Richter auf zwölf Jahre beschränkt – eine Wiederwahl ist nicht möglich. Die Amtsträger dürfen darüber hinaus die Altersgrenze von 68 Jahren nicht überschreiten. Und: Zwei Senate des Bundesverfassungsgerichts werden jetzt festgeschrieben. Damit wiederum soll verhindert werden, dass bei dem Erstarken autoritärer Parteien das Bundesverfassungsgerichtsgesetz geändert und ein dritter Senat eingeführt werden könnte.
Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz kann durch eine einfache Mehrheit im Bundestag geändert werden. Sollte eine politische Kraft dadurch einen dritten Senat einführen, der mit ihr wohlgesonnenen Richtern besetzt wird und sich um für die Partei wichtige Themen kümmert, könnte die Demokratie gefährdet werden, so die Argumentation. Deswegen sollen die Rahmenbedingungen für die Bundesverfassungsrichter im Grundgesetz festgehalten werden, denn für dortige Veränderungen braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit.
Die Änderungen sind eines der wenigen Ampel-Vorhaben, die von der CDU noch dieses Jahr mitgetragen werden. Bereits in der Vergangenheit hatten sich die Christdemokraten für die Gesetzesanpassung ausgesprochen. Deswegen gab es Gespräche mit den drei Ampel-Parteien, letztlich wurde ein gemeinsamer Entwurf beschlossen. Nachdem der Bundestag jetzt dem Vorhaben zugestimmt hat, muss auch der Bundesrat die Änderungen ratifizieren – das gilt jedoch als Formsache.
Während der Debatte kam es am Donnerstag immer wieder zu Zwischenrufen der AfD, die sich unzufrieden mit den Vorstellungen der Antragsteller zeigten. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas forderte deshalb, die Abgeordneten sollten vor allem mit Blick auf die Vorweihnachtszeit „anständig miteinander umgehen“. Die AfD-Abgeordneten wurden von den Rednern immer wieder subtil als verfassungsfeindlich dargestellt.
Vor der Abstimmung hatte Innenministerin Nancy Faeser das Vorhaben gelobt: Dass autoritäre Kräfte mit ihrer neu gewonnenen Macht Einfluss auf das Verfassungsgericht nehmen wollen, sei in anderen europäischen Ländern sichtbar geworden, erklärte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe. In Polen soll die konservative PiS-Regierung 2015 versucht haben, die Arbeitsweise des Verfassungsgerichts derartig zu beeinflussen, dass eine Gewaltenteilung nicht mehr möglich gewesen wäre, befürchteten Experten. Auch in Deutschland ist ein solches Szenario denkbar, mahnen Ampel-Politiker.