Die Ankündigung eines der größten fiskalpolitischen Kurswechsel in der deutschen Nachkriegsgeschichte hat die Anleihenmärkte in Aufruhr versetzt. Das von den Führungsspitzen der CDU/CSU und SPD vorgestellte Maßnahmenpaket übertrifft alle Erwartungen und markiert einen fundamentalen Wandel in der deutschen Haushaltspolitik.
Der Plan sieht drei wesentliche Änderungen an der Schuldenbremse vor, die noch vom scheidenden Bundestag mit seiner verfassungsändernden Mehrheit beschlossen werden sollen: Ein “Sondervermögen” (also zusätzliche Schulden) von 500 Milliarden Euro (11,6 Prozent des BIP 2024) für Infrastruktur- und Rüstungsinvestitionen, das über die nächsten zehn Jahre ausgegeben werden soll. Dies entspricht jährlichen Investitionen von etwa einem Prozent des BIP, wovon 100 Milliarden Euro den Bundesländern zugewiesen werden.
Eine Reform der Schuldenbremse, die Verteidigungsausgaben im Einzelplan 14 des Bundeshaushalts über einem Schwellenwert von einem Prozent des BIP ausnimmt. Dies ermöglicht praktisch unbegrenzte Kreditaufnahmen für Verteidigungszwecke. Derzeit beläuft sich der Einzelplan 14 auf 53,25 Milliarden Euro (1,25 Prozent des nominalen BIP 2024). Zusätzlich werden etwa 0,25 Prozent des BIP (11 Milliarden Euro), die den 1-Prozent-Schwellenwert überschreiten, für andere Maßnahmen wie Steuersenkungen freigesetzt.
Eine Erhöhung des strukturellen Defizits für die Bundesländer von derzeit 0,0 auf 0,35 Prozent des BIP – denselben Anteil wie auf Bundesebene. Zudem soll eine Expertenkommission bis Ende 2025 einen Vorschlag zur langfristigen strukturellen Reform der Schuldenbremse erarbeiten. Alle Elemente erfordern eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Die Parteien wollen die vereinbarten Maßnahmen noch mit dem alten 20. Bundestag verabschieden, bevor der neu gewählte 21. Bundestag (in dem die AfD eine potenzielle Sperrminorität hat) am 25. März zusammentritt.
CDU-Chef Merz bezeichnete diese Entscheidung ausdrücklich als “Whatever it takes”-Moment und als Entschlossenheit zur “vollständigen Aufrüstung”. Nach Einschätzung der Deutschen Bank deutet die robuste Rhetorik darauf hin, dass der unbegrenzte Kreditrahmen für Verteidigung in einem Tempo genutzt werden könnte, das die deutschen Verteidigungsausgaben bereits im nächsten Jahr auf mindestens 3 Prozent anheben könnte. Jim Reid von der Deutschen Bank warnt: “Alles, was Sie vor drei Monaten oder sogar vor drei Wochen über die wirtschaftlichen Aussichten Deutschlands zu wissen glaubten, sollte verworfen werden. Sie sollten Ihre Analyse von Grund auf neu beginnen.”
Die Deutsche Bank hat eine grobe Schätzung vorgenommen, die ein zusätzliches Defizit von 3 Prozent annimmt, das über das nächste Jahrzehnt schrittweise eingeführt wird. Dies stellt den geplanten Schritt in eine historische Perspektive. Natürlich könnten Wachstumsimpulse das Defizit reduzieren, aber es handelt sich potenziell um einen anhaltenden fiskalischen Stimulus, der in der deutschen Geschichte beispiellos ist. Und das, obwohl solche keynesianischen Ansätze bei offenen Volkswirtschaften nicht funktionieren.
Deutschland wird voraussichtlich weiterhin die niedrigste Schuldenquote in der G7 haben. Die Deutsche Bank schätzt, dass Deutschland etwa 1,6 Billionen Dollar ausgeben könnte, bevor seine Schuldenquote die des zweitniedrigsten Landes in der G7 (USA) erreicht. Dieses Paket hat das Potenzial, im Laufe der Zeit eine Größenordnung von rund einer Billion Dollar zu erreichen.
Die Reaktion der Märkte ließ nicht lange auf sich warten: Die Renditen deutscher Bundesanleihen stiegen um über 24 Basispunkte – ein deutliches Zeichen dafür, dass die “Bond-Vigilanten” aktiv geworden sind. Die Financial Times berichtet, dass Investoren den Ausverkauf bei Anleihen nicht auf Bedenken hinsichtlich der Tragfähigkeit der Berliner Schulden zurückführen, die mit rund 63 Prozent des BIP deutlich niedriger sind als in anderen großen westlichen Volkswirtschaften wie Frankreich, Großbritannien und den USA.
Im Gegensatz zu den jüngsten Anstiegen der Kreditkosten in Ländern wie Großbritannien, die deren Haushaltspläne gefährdet haben, preisen die Märkte eine bessere Wachstumsperspektive ein, die risikoreiche Anlagen wie Aktien auf Kosten ultrasicherer Staatsanleihen begünstigt. “Die Renditen steigen aufgrund der Wahrnehmung, dass Deutschland den Wachstumshahn aufdreht. Das ist sehr risikofreundlich”, sagte Karen Ward, Strategin bei JPMorgan Asset Management. Allerdings gibt es Grund zur Skepsis gegenüber dieser Einschätzung – insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Swap-Spreads regelrecht explodieren.
Europa ist bekannt dafür, Staatsschuldenkrisen zum ungünstigsten Zeitpunkt zu erleiden. Sollte die Inflation hartnäckig hoch bleiben, könnte die Rendite neuer deutscher Schulden bald nicht mehr tragbar sein. Dies würde bedeuten, dass die EZB eingreifen und die deutsche Defizitfinanzierung monetarisieren müsste, wie sie es im Großteil des vergangenen Jahrzehnts getan hat. Das einzige Problem: Sie bräuchte zunächst einen Markt- und/oder deflationären Schock, um einen solchen Eingriff zu rechtfertigen. Angesichts der Ereignisse der letzten fünf Jahre ist es jedoch zweifelhaft, dass die in Frankfurt ansässige Zentralbank Probleme haben wird, eine weitere Krise zu konstruieren, die sie ausnutzen kann.
Deutschlands fiskalpolitischer Kurswechsel erschüttert Bondmärkte