Die Bundesrepublik wird deutlich länger als geplant auf ihre Kohlekraftwerke in der Reserve angewiesen sein. Diese Erkenntnis kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die Politik eigentlich den Kohleausstieg bis 2030 vorantreiben will. Ohne die Atomkraftwerke ist die Lage eben schwierig – aber die Politik wollte es ja so…
Christoph Mueller, Vorstandsvorsitzender des Netzbetreibers Amprion, brachte es in einem Bloomberg-Interview auf den Punkt: “Einige dieser Anlagen haben derzeit nur eine Betriebsperspektive bis 2026, die große Mehrheit bis 2031.” Seine Schlussfolgerung ist beunruhigend: Eine längere Nutzung der Kohlekraftwerke könnte bis in die 2030er Jahre hinein erforderlich sein.
Der Grund für diese ernüchternde Prognose liegt in mehreren strukturellen Problemen: Die Pläne für neue Gaskraftwerke kommen nicht wie erhofft voran, während die Reservekapazitäten seit der Abschaltung des letzten Kernkraftwerks 2023 dramatisch geschrumpft sind. Bei Windstille und hoher Nachfrage drohen weiterhin gefährliche Engpässe im Stromnetz.
Der Verband der Kohleimporteure (VDKi) unterstreicht die aktuelle Bedeutung der Kohlekraft. Dessen Geschäftsführer Alexander Bethe betont: “Moderne Steinkohlekraftwerke sind ein wichtiges Rückgrat des deutschen Stromnetzes.” Seine Forderung nach einem technologieoffenen, wettbewerblichen Kapazitätsmarkt gewinnt angesichts der aktuellen Entwicklungen an Gewicht.
Die Realität hat die politischen Ambitionen eingeholt: Während Deutschland offiziell am beschleunigten Kohleausstieg bis 2030 festhält, mussten in den vergangenen Wintern bereits stillgelegte Kohlekraftwerke reaktiviert werden – eine direkte Folge des Wegfalls russischer Gaslieferungen. Die Strompreisexplosion Ende letzten Jahres, ausgelöst durch eine Kombination aus Windstille, fehlender Sonneneinstrahlung und Kältewelle, führte die Verletzlichkeit des Systems deutlich vor Augen.
Der Energieriese Uniper mahnt bereits zur Eile bei der Ausschreibung neuer Gaskraftwerkskapazitäten. Doch die anstehenden vorgezogenen Bundestagswahlen im Februar könnten wichtige Entscheidungen weiter verzögern – Zeit, die Deutschland im Kampf um eine stabile Energieversorgung eigentlich nicht hat. Die Ironie der Geschichte: Ausgerechnet die als Brückentechnologie verschmähte Kohle könnte sich als unverzichtbarer Stabilitätsanker erweisen. Eine Erkenntnis, die manchem Klimafanatiker bitter aufstoßen dürfte.
Deutschlands Kohle-Dilemma: Notreserve noch deutlich länger unverzichtbar