31. Januar 2025

ddbnews.org

Neuigkeiten / Berichte / Informationen

Die moderne Medizin kann retten, bessern – aber Krankheiten heilen kann sie nicht

 

Die Menschheit steht mit der modernen Medizin in einer schweren Krise. Die Reduktion des Bewusstseins auf die rein materielle Seite der Welt mit ihren physikalischen, chemischen Gesetzen hat auch in der Medizin zur Reduktion des Menschenbildes auf einen angeblich nur materiell bedingten Körper geführt, dessen chemische Prozesse mit chemischen Medikamenten behandelt werden. Diese bewirken eine Besserung, heilen aber nicht die Krankheit und rufen Nebenwirkungen hervor, die auch wieder mit chemischen Mitteln behandelt werden. So ist vielfach eine lebenslange Behandlung erforderlich – zur Freude der Pharma-Industrie. Die Ärztin Dr. Daphné von Boch zeigt nach einer gründlichen Analyse Wege zur dringend notwendigen geistigen Erweiterung der Medizin auf. (hl)


Dr. med Daphné von Boch

 

Braucht die Medizin eine Erweiterung?*

Warum Anthroposophische Medizin?

Die Medizin ist heute voller Erfolge. Täglich wird in den Medien über neue Errungenschaften der Medizin berichtet. Sie hat in den letzten 70 Jahren eine rasante Entwicklung genommen und ist auf allen Gebieten so erfolgreich wie noch nie in der Geschichte. Auf der ganzen Linie verzeichnet sie Erfolg über Erfolg.

Wenn heute ein Unfall passiert: Kein Problem. Es können ganze Beine wieder zusammengenäht werden. Herz, Lunge, Leber, Niere: Sie alle können transplantiert werden. Und selbst wenn keine Niere zur Verfügung steht, ist auch das kein Problem: Es gibt die Dialyse. Die Medizin hat alles im Griff. Sogar der Tod kann heute etwas hinausgezögert werden.

Warum also sollte die Medizin erweitert werden? Noch 50 Jahre in diese Richtung, nur noch etwas mehr Geld, und alle Krankheiten werden besiegt sein. Alle Menschen werden gesund sein.

Diese Entwicklung ist sehr jung. Sie fing in den 1950er Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg an. Die Ärzte, die dies anfänglich miterlebt haben, waren überwältigt: Keine Cholera, kein Typhus mehr mit drei Wochen lang 40°C Fieber – diese und viele andere Infektionskrankheiten waren einfach weg. Die Entzündung einer Herzklappe bedeutete früher den Tod. Jetzt eine Spritze Penicillin, und die Entzündung war weg. In der Psychiatrie, trotz Zwangsjacke und maximaler Dosierung von Schlafmitteln, schlugen die Tobenden immer noch um sich. Nun gab es Psychopharmaka, und es trat Ruhe ein. Der Rheumatiker litt 30 Jahre lang unter Schmerzen. Eine Spritze Kortison, und die Schmerzen waren verschwunden. Diabetiker brauchten nicht mehr zu sterben – dank der Verfügbarkeit von Insulin. All das war für die Ärzte äußerst beeindruckend.

Diese Euphorie kühlte bei der Einführung der Chemotherapie etwas ab: Der Fall eines schwerst Krebskranken mit vielen Metastasen wurde auf einem medizinischen Kongress vorgestellt. Nach der Chemotherapie war er gestorben. Daraufhin wurde die Leiche vollständig obduziert: Keine einzige Krebszelle wurde mehr gefunden. Folglich war er geheilt – zwar gestorben, aber geheilt. Jetzt musste nur noch die richtige Dosierung der Chemotherapie gefunden werden: die Dosierung, die den Krebs tötet, nicht aber den Menschen.

Hier sind wir beim Problem: Ist das Heilung?

 

Warum ist die heutige Medizin so erfolgreich?

Warum können heute beispielsweise Herztransplantationen gemacht werden? Sind die heutigen Chirurgen so viel besser als früher? – Nein. Die chirurgischen Handgriffe bei Transplantationen sind nicht so schwer. Das hätten die Chirurgen vor 100 Jahren auch geschafft. Was fehlte ihnen? – Die technischen Möglichkeiten. Bei Herztransplantationen ist dies die Herz-Lungen-Maschine, die den Kreislauf aufrechterhält, während das Herz stillstehen muss. Und wer baut diese Maschine? – Der Physiker, gemeinsam mit Technikern und Mechanikern, die seine Gedanken in die Praxis umsetzen. Und was erfordert eine Transplantation noch? – Ein immunsuppressives Medikament, damit das neue Organ nicht abgestoßen wird. Wer aber entwickelt dieses? – Der Chemiker. Und was tut der Arzt…? Er benutzt lediglich die Errungenschaften der Physik und Chemie. Die Erfolge der Medizin sind eigentlich Erfolge der Naturwissenschaften, der Physik und Chemie. Die Medizin als solche hat sich nicht groß entwickelt. Ihr Fortschritt kommt aus der Entwicklung der Naturwissenschaften.

 

Was wird am Anfang einer Erkrankung getan?

Wenn beispielsweise die Nieren erkranken: Was wird am Anfang getan, damit sie wieder gesund werden? Vielleicht wird das, was die Krankheit begünstigt, Salz und Eiweiß, weggelassen. Dies hat die Krankheit aber nicht verursacht. Die Nieren sind nicht durch Salz und Eiweiß krank geworden. Was wird dafür getan, dass die Nieren nicht nur geschont, sondern auch dazu angeregt werden, selbst die Krankheit zu überwinden? – Nichts. „Es gibt keine Therapie“, bekommt der Patient zu hören. Erst wenn die Nieren vollständig funktionsunfähig geworden sind, beginnt eine grandiose technische Apparatur anzulaufen mit Dialyse, Transplantation usw. – Die Medizin kann Leben retten. Sie kann aber nicht heilen.

 

Die Medizin kann nicht heilen?

Einen Patienten im diabetischen Koma zu retten, ist heute nicht schwer. Eine Spritze Insulin, und er ist wieder da. Das ist ein echter Fortschritt. Ist er aber geheilt? – Nein. Deshalb muss er lebenslang Insulin nehmen. Und trotz Insulin schreitet die Krankheit mit Gefäßveränderungen und allen Folgeerkrankungen weiter fort.

Wenn die Nieren nicht mehr funktionieren, wird der Patient an die Dialyse angeschlossen. Ist er dann geheilt? – Nein. Er muss lebenslang dialysiert werden. Und wenn er eine neue Niere transplantiert bekommt: Ist er damit geheilt? – Nein. Hat er die Niere durch Nierensklerose verloren, wird auch die neue Niere an Nierensklerose erkranken. Nicht an einer Abstoßungsreaktion: Dafür bekommt der Patient ein immunsuppressives Medikament. Die neue Niere aber erkrankt an derselben Krankheit wie die alte. Was zu der Krankheit geführt hat, ist immer noch da – und nicht im Mindesten beeinflusst. Mit der Transplantation ist der Patient zwar lebensfähig, aber nicht geheilt.

Hat jemand Kopfschmerzen, nimmt er eine Schmerztablette. Die Schmerzen gehen weg. Die Kopfschmerzen sind aber nicht geheilt – sie kommen wieder. Der Rheumatiker nimmt das Rheumamittel, das ihm 30 Jahre lang immer geholfen hat. Weil es aber nur geholfen und nicht geheilt hat, muss er es bis an sein Lebensende einnehmen. Der Krebskranke bekommt eine radikale Operation. Die Krebszellen werden einschließlich eines gesunden Randes vollständig entfernt. Das Rezidiv kommt aber trotzdem. Das tiefere Problem wird von der Medizin nicht angegangen.

Bei der Lungenentzündung aber – da wird wirklich geheilt. Das hat man jahrelang geglaubt. – Wird aber der Mensch durch Antibiotika wieder gesund, sodass die Krankheit nicht in Bälde wieder auftritt? – Nein. Das Antibiotikum richtet sich überhaupt nicht an den Menschen, sondern ausschließlich an die Bakterien. Deshalb werden die Bakterien, und nicht der Mensch, untersucht, beispielsweise mit einem Antibiogramm, um festzustellen, ob sie durch ein bestimmtes Antibiotikum sterben oder nicht. Es wird durchaus versucht, dem Körper durch Antibiotika nicht zu schaden, was aber nicht gelingt, da er der Boden ist, auf dem die Bakterien wachsen. Und wie der Name Anti-bios besagt, ist das Antibiotikum gegen das Leben gerichtet. Nicht nur gegen das Leben der Bakterien, sondern auch des Menschen. Das ist keine Nebenwirkung, sondern die Hauptwirkung des Antibiotikums. Der Patient wird durch das Antibiotikum selbst geschwächt. Deshalb der häufige Rückfall.

Das gesamte Arsenal der heutigen Medizin hat keine Heilmittel. Es sind lebensrettende, lebensbefähigende, lebensverlängernde Mittel – aber sie sind nicht heilend. Wir haben eine sehr erfolgreiche Medizin – sie heilt aber nicht. Ihre Erfolge sind lediglich Besserungen.

 

Die Heilung stillschweigend abgeschafft?

Ein prominenter Berliner Internist hat sich in den 1960er Jahren stark gemacht für die Abschaffung des Wortes Heilung in der Medizin. Denn man könne nicht wissen, ob ein Mensch geheilt ist oder nicht. Wir können nur messen, und nur das Gemessene ist gesichert: Hard facts. Das ist Naturwissenschaft. Die Medizin ist zur Naturwissenschaft geworden.

Dieser Internist hat sich damals nicht offiziell durchsetzen können. Dennoch fällt beispielsweise beim Sichten von Krankenhaus-Entlassungsberichten auf, dass das Wort Heilung nicht mehr verwendet wird: „Die Werte (Labor, Blutdruck) haben sich normalisiert“, „Die Beschwerden bildeten sich zurück“, „Die Arbeitsfähigkeit ist wieder hergestellt“, „Der Patient wird in gebessertem Zustand entlassen“. Von Heilung wird tatsächlich nicht mehr gesprochen. Die Medizin hat sich stillschweigend von der Heilung entfernt.

Heilung ist jedoch das höchste Ziel der Medizin – nicht Besserung. Auch wenn Heilung nicht immer möglich ist, muss sie immer angestrebt werden. Die Besserung kann nur die zweite Wahl sein. Die Medizin hat sich von ihrer ureigenen Aufgabe, von der Heilung, entfernt.

 

Was ist Gesundheit? Was ist Heilung?

Medizinische Standardwerke wie der Pschyrembel definieren die Gesundheit als „Zustand völligen körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Wohlbefindens“.(1) Wer aber ist im Zustand völligen Wohlbefindens auf all diesen Ebenen? Gesundheit ist kein konstanter Zustand, sondern sehr veränderlich. Durch Müdigkeit, Hunger oder auch eine schlechte Nachricht wird die Gesundheit einer Person geschwächt und muss wieder neu errungen werden. Wenn ein Zustand völligen Wohlbefindens konstant wird, ist das wahrscheinlich ein psychiatrisches Krankheitsbild, eine Manie.
Und das ist wiederum keine Gesundheit.

Und was ist für medizinische Nachschlagewerke die Heilung? Die „Wiederherstellung des Ausgangszustands“, also des Zustands vor der Krankheit.(2) Was aber geschieht, wenn der „Zustand vor der Krankheit“ wieder hergestellt wird? – Vor der Krankheit muss eine Schwäche bestanden haben, sonst wäre der Mensch nicht krank geworden. Und wenn dieser Ausgangszustand der Schwäche wieder hergestellt wird, müsste der Mensch folglich wieder krank werden. Wirkliche Heilung muss also zu einem Zustand führen, der stärker ist als der Ausgangszustand.

Die Medizin weiß nicht mehr, was Gesundheit und was Heilung ist. Daher kann sie nicht mehr zu Gesundheit oder Heilung hinführen.

 

Wohin führt die Medizin?

Durch Physik und Chemie hat die Medizin gelernt, das Sichtbare der Krankheit, die Symptome, verschwinden zu lassen. Der Patient fühlt sich rasch besser. Das Symptom ist aber lediglich eine Äußerung der tieferliegenden Krankheit. Die Krankheit selbst indessen wird von der Medizin nicht angegangen – und bleibt. Sie wird chronisch. Der Patient sieht nur so aus als sei er gesund. Das ist jedoch eine Illusion: Wird das Medikament abgesetzt, erscheinen die Symptome wieder. Sie waren nur unterdrückt. Das bedeutet aber, dass die Medikamente immer wieder und wieder eingenommen werden müssen.

Wenn beispielsweise ein Kind hustet (was sehr häufig vorkommt, denn Kinder müssen ihr Immunsystem in den ersten Lebensjahren aufbauen), bekommt es ein Antibiotikum. Eine Zeitlang ist Ruhe. Dann tritt der Husten wieder auf. Das Kind erhält ein zweites Antibiotikum. Mit der Zeit werden die Infekte häufiger, schwerer. Das Kind bekommt mehr, stärkere Mittel. Allmählich können die Medikamente nicht mehr abgesetzt werden, auch in den symptomfreien Intervallen nicht.(3)

Die Medizin handelt hierbei wie ein Lehrer, der, statt dem Kind das Rechnen beizubringen, die Rechenaufgaben selber löst. Bei obigem Beispiel werden die Bakterien vom Antibiotikum getötet statt vom Immunsystem des Kindes. Die Rechenaufgaben werden dadurch, dass der Lehrer sie löst, schnell getan und das Kind hat es bequem. Es lernt dabei aber nichts. Das wäre jedoch die eigentliche Aufgabe: Nicht ein schnelles und müheloses Ergebnis, sondern selber rechnen zu lernen, um es ohne Lehrer zu können. Durch die Medizin verschwinden Symptome schnell und für den Patienten mühelos – der Organismus lernt dabei aber nichts und bleibt von den Medikamenten abhängig.

Es gibt tatsächlich eine Situation, wo das Symptom sofort unterdrückt werden muss: Wenn dieses Symptom unmittelbar zum Tod führen würde. Ist jemand gerade am Ertrinken, kann ihm in dieser Situation nicht das Schwimmen beigebracht werden. Ihm muss erst ein Rettungsring zugeworfen werden. Das ist die wirkliche Stärke der modernen Medizin. Zwischen Tod und einem konventionellen Medikament ist das Medikament meist die bessere Lösung. Aber nur dann. Ist der Tod abgewendet, muss der Körper nun so geführt werden, dass er selber lernt, die Krankheit zu überwinden. Nachdem sich der Gerettete von der Rettungsaktion erholt hat, muss er, damit diese Situation nicht wieder eintritt, das Schwimmen lernen.

Die moderne Medizin kann den unmittelbaren Tod abwenden. Sie ist zur Rettungsmedizin geworden. Sie rettet dadurch das Leben Tausender von Menschen. Hier ist die Medizin ein wirklicher Gewinn. Die Frage ist nur: Wie oft tritt im Laufe des Lebens des Einzelnen eine solche Situation ein? – Bei den meisten Menschen nie. Die allermeisten Krankheiten führen nicht unmittelbar zum Tode. Das bedeutet: Richtig angewendet, müsste die moderne Medizin zwar entscheidend, aber doch sehr selten zum Zuge kommen. Was geschieht jedoch, wenn sie nicht richtig angewendet wird?

 

Was passiert, wenn alle akuten Symptome unterdrückt werden?

Werden alle akuten Symptome, auch die, die nicht zum Tode führen, routinemäßig unterdrückt, müssen immer mehr Menschen krank bleiben – ja, durch die andauernde Krankheit und die schädigende Wirkung der Medikamente sogar immer kränker werden.

In dieser Situation befinden wir uns heute. Noch nie in der Geschichte der Medizin gab es so viele (chronisch) Kranke wie heute. Noch vor 100 Jahren gingen die Menschen zum Arzt, wenn sie akut krank waren. Und ansonsten waren sie gesund. Heute ist kaum noch jemand gesund. Millionen Menschen müssen lebenslang mindestens ein, meist jedoch mehrere Medikamente täglich einnehmen. Dies drückt sich in den steigenden Prämien der Krankenkassen aus. Das hat nicht nur mit den sehr hohen Preisen der modernen Medikamente und technischen/chirurgischen Maßnahmen zu tun, sondern auch mit der schnell wachsenden Anzahl der lebenslang immer kränker werdenden, medikamentenabhängigen chronisch Kranken.

Ist dieser hohe Anteil an chronisch Kranken nicht auf das Älterwerden der Bevölkerung zurückzuführen? – Früher waren die Menschen alt und gesund. Die heutige ältere Generation kann dies beim Zurückerinnern an ihre Kindheit bestätigen. Heute sind die Altenheime voll schwer pflegebedürftiger Menschen. Das war vor 60 Jahren nicht der Fall. Zusätzlich werden immer jüngere Menschen und Kinder chronisch krank. Wir werden zunehmend in die Lage versetzt, dass die wenigen Gesunden nicht mehr ausreichen, um die wachsende Anzahl von Kranken zu bewältigen. Das ist einer der wesentlichen Gründe für den heutigen dauerhaften Ärzte- und Pflegenotstand.

Das ist im Grunde das Gegenteil von dem Eindruck, den die heutige Medizin erweckt – dass dank der modernen Medizin bald alle Krankheiten besiegt und es nur noch Gesunde geben werde. Die Gesundheit der Menschheit verfällt, und zwar zum Großteil durch die Medizin selbst. Das ist die eine Richtung, in welche die Medizin heute führt: Zu immer häufigeren und schwerer werdenden chronischen Krankheiten.

 

Wo führt die Medizin noch hin?

Der Mensch steht im Mittelpunkt der Bemühungen der Medizin. Was aber ist der Mensch? – Die Antwort auf diese Frage ist entscheidend, denn sie bestimmt die Therapie.

Ist der Mensch nur, was an ihm sichtbar ist, was er an Materie an sich trägt? Und ist das Nichtmaterielle an ihm, wie etwa die Gefühle und Gedanken, auf die Materie, auf Substanzen wie Adrenalin, Östrogen und auf Organe wie das Gehirn zurückzuführen, die dieses Nichtmaterielle erzeugen? So betrachtet die heutige Medizin den Menschen tatsächlich. Allein die chemischen und physikalischen Eigenschaften des Körpers werden berücksichtigt.

Dementspechend besteht die Behandlung darin, wie in ein Reagenzglas die jeweilige chemische Substanz, welche die gewünschte Reaktion bewirkt, in den Menschen hineinzugeben. Hat der Patient Schmerzen, bekommt er eine Substanz, die den Schmerz dämpft (Ibuprofen). Fehlt ihm Magensäure, bekommt er Magensäure. Ist zu viel Magensäure da, bekommt er einen Magensäure-hemmer (Pantoprazol). Fehlt ihm Ruhe, erhält er ein Beruhigungsmittel (Tavor®). Leidet er aber unter zu viel Ruhe, wird ihm eine gehirnerregende Substanz gegeben (Cipralex®), usw. Sogar Kinder werden heute im Labor in Petrischalen gezeugt.

Durch diese materialistische Betrachtung wird der Mensch aber auch wie eine Maschine behandelt: Ist etwas kaputt, wird es ersetzt (Organtransplantation). Ins Extrem geführt: Ist der Körper eines Menschen voller Metastasen, der Kopf aber gesund, dann könnte durch eine Kopftransplantation dieser Kopf auf den gesunden Körper eines anderen Menschen, dessen Kopf durch einen Motorradunfall zerstört wurde, transplantiert werden. Solche Versuche laufen bereits an Affen. – Wer aber von diesen beiden Menschen wäre nach der Kopftransplantation anwesend?

Die Medizin betrachtet den Menschen heute auch wie ein Tier. Der Titel eines Bestsellers der 1960er Jahre bringt es auf den Punkt: „Der nackte Affe“.(4) Ist der Mensch wirklich nur ein Tier ohne Fell? Wenn ein Tier schwer krank ist, wird es von diesem Leiden befreit: Es wird eingeschläfert. Dasselbe wird heute beim Menschen in der Euthanasie praktiziert. – Ist das richtig? Wenn ein Kind unpassend oder gar behindert auf die Welt kommen soll, wird es abgetrieben. – Ist das richtig? Und mit den abgetriebenen Kindern konnte bis zu einem gesetzlichen Verbot Gesichtscreme hergestellt werden…

Die Frage darf nicht lauten: Ist es machbar?, sondern: Ist es menschlich? – Dafür aber muss die Frage „Was ist der Mensch?“ zuallererst der Wirklichkeit entsprechend beantwortet werden. Andernfalls kann das Bestreben der modernen Medizin nur in immer menschenunwürdigeren, skurrileren Umständen münden. Das ist die andere Richtung, in welche die heutige Medizin führt.

 

Woher kommen die Erfolge der Medizin als solche?

Die Erfolge der Medizin basieren auf einer Einseitigkeit. Der Blick wird allein auf den chemisch-physischen Teil des Körpers gerichtet. Das führt dazu, dass dieser Teil heute tatsächlich beherrscht werden kann. Die Medizin kann heute sofort und direkt ohne Beteiligung des Patienten auf das Chemisch-Physische in seinem Körper zugreifen. Zwischen Leben und Tod kann das, wie oben dargestellt, auch nötig sein.

 

Woher kommt die Unmenschlichkeit?

Der Körper ist lediglich ein untergeordneter Teil des ganzen Menschen. Mit der materialistischen Auffassung allein kann daher das Wesen des Menschen nicht erfasst werden. Sobald es über die Notfallsituation hinausgeht, muss diese Medizin geradezu in Lösungen münden, die dem Menschen nicht mehr gemäß sind.

Auch kann, indem der Mensch wie ein Tier betrachtet wird, sein Wesen nicht erfasst werden. Der Mensch hat durchaus das Tierische in sich. Er hat aber zusätzlich etwas, was das Tier nicht hat – was über dieses Tierische hinausgeht. Und gerade darauf kommt es an: auf den Unterschied zwischen Mensch und Tier – nicht auf das, was beiden gleich ist.

 

Die Naturwissenschaft kann nur die Materie erfassen

Die Berücksichtigung allein des Physisch-Chemischen im Menschen hat die Medizin von der Naturwissenschaft übernommen. Das Forschungsobjekt der Naturwissenschaft ist aber nicht wie bei der Medizin der Mensch, sondern lediglich das Physisch-Materielle der Welt. Und das ist nur eine der vier Kräfte der Natur: Die leblose Materie. Sie ist der sichtbare Teil der Wirklichkeit.

Die für die Materie geltenden Gesetze sind jedoch nicht auf die gesamte Wirklichkeit übertragbar. Schon die Pflanze ist über das Materielle hinaus mit einer unsichtbaren Kraft, der Kraft des Lebens, durchdrungen. Das Tier hat über das Materielle und das Leben hinaus auch die Fähigkeit des Erlebens. Es hat die Kraft des Bewusstseins, die Seele. Der Mensch erlebt sich darüber hinaus selbst als eigenständiges Wesen, getrennt von der Umgebung. Er ist sich seiner selbst bewusst. Er hat ein Ich, einen Geist. Leben, Bewusstsein und Selbstbewusstsein sind zwar unsichtbar, aber ebenso wirklich wie die Materie. Vier Gebiete gibt es in der Welt. Eines ist sichtbar, und drei sind unsichtbar.
Und deren Gesetze sind nicht nur unterschiedlich, sondern sogar gegensätzlich zueinander.

Das Mineralreich, wie es in reiner Form der Stein darstellt, ist das Leblose, das Tote in der Natur: Es hat keine unsichtbar wirkende Kraft in sich. Der Stein beispielsweise hat keine bestimmte Form und bekommt seine Konturen nur durch Einflüsse, die von außen kommen: durch die Reibung von Nachbarsteinen, durch Wasser, usw. Steine werden entsprechend immer kleiner.

Die Methode der Physik und Chemie – die Analyse, das ist die Zerteilung in kleinere Einheiten, das Messen mit Hilfe verschiedener Instrumente u.a. – ist nur geeignet, die Gesetze sichtbarer Materie zu erfassen. Bereits das Leben als solches, das in reiner Form in der Pflanze erscheint, ist keine Materie, sondern eine unsichtbare Kraft, und kann daher mit dieser Methode nicht erfasst werden. Nur das Materielle der Pflanze kann zerteilt, kann analysiert werden. Das Leben selbst aber wird dadurch nicht sichtbar, sondern verschwindet. Nur das Materielle der Pflanze wird auf der Waage gewogen; das Leben selbst hat kein Gewicht. Obwohl das Leben unsichtbar und unwägbar ist, ist es da und wirkt. – Wie?

Im Gegensatz zum Mineral, das formlos ist, bekommt ein lebendiger Organismus wie der einer Pflanze von innen heraus eine bestimmte Form. Und wenn die Pflanze stirbt, löst sich diese Form auf. Sie fällt auseinander. Das heißt, Leben ist eine unsichtbare Kraft, welche die Substanz der Pflanze zusammenhält und ihr eine Form gibt.

Das Mineral wird durch Abreibung immer kleiner. Die lebendige Pflanze hingegen wird größer, sie nimmt an Substanz zu. Jeder Baum war einmal ein kleiner Samen. Die Pflanze kann wachsen.(5)

Dies ist gerade für die Medizin sehr wichtig. Wenn ein Knochen bricht, wird er heute zusammengeschraubt. Manchmal wächst er trotzdem nicht zusammen. Was wird dann getan? Wie wächst ein Knochen wieder zusammen? – Das weiß man nicht. Wenn die heutige Medizin aus der Technik herauskommt, wird es schwierig. Die Technik kennt und beherrscht nur die Gesetze der toten Materie. Wenn ein toter Gegenstand bricht, wächst er nicht mehr zusammen. Er kann nur notdürftig zusammengeklebt werden. Nur Lebendiges kann wachsen – und eben auch zusammenwachsen. Durch das im Knochen wirkende Leben können dessen Teile nach einem Bruch wieder zusammenwachsen – das bedeutet: heilen. Heilen kommt aus der Kraft des Lebens. Allein schon dafür bedarf die Medizin einer Erweiterung: um die unsichtbaren Gesetze des Lebens kennenzulernen und anwenden zu können. Dann wird die Medizin wieder heilen können.

 

Es war nötig, die Materie zu erforschen

Die Menschheit musste sich im Lauf ihrer Entwicklung von der göttlichen Führung trennen, um selbständig zu werden. Solange bei unseren Vorfahren eine angeborene Hellsichtigkeit bestand, wodurch für sie das Geistige im Traumbewusstsein direkt wahrnehmbar war, konnte dies nicht geschehen. Die Hellsichtigkeit bildete sich daher immer mehr zurück. Das Bewusstsein wurde wach und die Sinnesorgane geschärft für die Welt der sichtbaren, toten Materie. Die Menschen lernten durch das Denken deren Gesetzmäßigkeiten kennen und mit diesen arbeiten. Sie vergaßen allmählich die geistige Welt und wurden von dieser unabhängig. Es ist aber an der Zeit, wenn der Mensch sich nicht an die Materie verlieren soll, sich dem Unsichtbaren, auch dem Unsichtbaren in der Natur, neu zuzuwenden.

Dabei muss das wache Bewusstsein – und damit die Exaktheit der Naturwissenschaft und deren scharfes Unterscheidungsvermögen – erhalten bleiben. Ebenso wie es im Bereich der toten Materie möglich ist, Kalium und Natrium durch ihre verschiedenen Eigenschaften genau zu differenzieren, müssen heute die unsichtbaren Kräfte, wie die Kräfte von Leben, Seele und Geist, genau voneinander unterschieden werden können.

Wie aber kann das Unsichtbare erfasst werden?

 

Unsichtbares kann durch unbefangenes Denken erfasst werden

Diese Methode wurde bereits durch die Naturwissenschaft auf die tote Materie angewendet, um die auf sie wirkenden Kräfte zu finden. Wenn beispielsweise ein Objekt zu Boden fällt, sind das zwei sichtbare Dinge – das Objekt und der Boden –, die in einem bestimmten Zusammenhang stehen: Das eine fällt zum anderen hin. Dieser Zusammenhang weist für das Nachdenken auf eine unsichtbar von außen auf das Objekt wirkende, zur Erde ziehende Kraft hin: die Schwerkraft. Obwohl die Schwerkraft unsichtbar ist, kann sie durch das Denken begriffen werden.

Hebt sich dagegen ein Objekt, das lebendig ist, eine Pflanze, durch das Wachsen nach oben hin, verweist dies auf eine andere, der Schwerkraft entgegengesetzte Kraft: auf die Kraft des Lebens. In den Bäumen wirkt diese Kraft von innen heraus, Tonnen von Materie gegen die Schwerkraft über die Erde hebend.

In der Natur bestimmen folglich die unsichtbaren Kräfte die Materie – und nicht umgekehrt. Die Materie, die wahrgenommen werden kann, weist somit auf die in ihr von außen oder innen wirkenden unsichtbaren Kräfte hin. Ein unbefangenes Denken kann den Zusammenhang zwischen verschiedenen Wahrnehmungen erfassen und so die in ihnen wirkende unsichtbare Kraft gedanklich mitvollziehen. Die unsichtbare Kraft wird denkbar.

Auf diese Weise können Wahrnehmungen zu sichtbaren Buchstaben eines Alphabets werden. Der Zusammenhang zwischen den Buchstaben, ihre Reihenfolge, wird vom Denken als sinnhaftes Wort erfasst. Die Eigenschaften und Gesetze der in der Materie tätigen unsichtbaren Kräfte offenbaren sich. Denkend können die unsichtbaren Kräfte erfasst werden.

Dieses „Lesen im Buche der Natur“, die von Goethe begründete Phänomenologie, wurde von Steiner als Geisteswissenschaft weiter ausgearbeitet und verbreitet.(6) Durch ihre Exaktheit ist sie eine Wissenschaft – und, weil ihr Objekt das Unsichtbare ist, eine Geisteswissenschaft.

Abb. 1: Denkend können die unsichtbaren Kräfte erfasst werden.(7)

Die Medizin muss durch die Geisteswissenschaft erweitert werden, um das unsichtbare Wesen des Menschen zu erfassen und dadurch den Menschen wieder heilen zu können.

———————————–

* Dieser Artikel wurde 2024 auf Deutsch in der Zeitschrift „Der Europäer“ (S. 11 ff.) und auf Englisch in der Zeitschrift „New View“ veröffentlicht. Er ist auch die Einführung für ein Buch, das 2026 auf Englisch im Verlag Temple Lodge und auf Deutsch im Verlag Freies Geistesleben erscheinen soll.

Anmerkungen:

1. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch. Walter de Gruyter GmbH, Berlin/ Boston 2013, S. 762.
2. ebd., S. 853.
3. von Boch, Daphné, „Kann der gewöhnliche grippale Infekt heute zur Gefahr werden?“. In: Der Europäer, Perseus, Basel, Oktober 2023, S. 22-30. https://perseus.ch/archive/category/europaer/europaer-aktuell
4. Morris, Desmond, Der nackte Affe. Droemer Knaur, München/Zürich 1968.
5. Sind Kristalle nicht auch Mineralien, haben aber doch eine bestimmte Form und können, wie ein Salzkristall in einer mit Salz gesättigten Lösung, größer werden? – Mineralien können eine bestimmte geometrische Form einnehmen und als Kristalle erscheinen. Dafür aber müssen sie rein sein, also aus einer einzigen Substanz bestehen, beispielsweise, wie Salz, nur aus Natriumchlorid. Da das selten ist, sind reine Kristalle entsprechend selten. Dass sie heute in jedem Juweliergeschäft zu sehen sind und manche sogar synthetisch hergestellt werden können, täuscht über diese Tatsache hinweg. Kristalle stellen unter den Mineralien eine Ausnahme dar. Und um ein Gesetz zu finden, muss zunächst vonder Regel ausgegangen werden, nicht von der Ausnahme.
6. Steiner, Rudolf, Die Philosophie der Freiheit. Rudolf Steiner Verlag, Basel, GA4.
7.Das Bild aus dem Mittelalter zeigt einen Menschen, der versucht, denkend hinter das Sichtbare der Dinge um sich herum zu gelangen.

Lektorat von Anna Sophia Hellmich

Zur Autorin:
Daphné von Boch lebt in Basel in der Schweiz. Als Ärztin und Psychologin war sie viele Jahre in zwei Kliniken für Anthroposophische und psychosomatische Medizin tätig, die letzten Jahre in leitender Funktion. Seit 2012 bildet sie Ärzte in slawischen Ländern und in Asien für Anthroposophische Medizin aus. Seit 2018 arbeitet sie in eigener Privatpraxis und schreibt Artikel über Anthroposophische Medizin für anthroposophische Zeitschriften.

 

Die moderne Medizin kann retten, bessern – aber Krankheiten heilen kann sie nicht