Berliner Denkfabrik fordert sofortige High-Tech-Aufrüstung der Streitkräfte Europas mit Drohnen, Satelliten und KI. Ziel ist eine „souveräne innereuropäische Beschaffung“, um von den USA unabhängig zu werden – auch bei Atomwaffen.
BERLIN (Eigener Bericht) – Vor der heutigen Entscheidung des Bundestags über die komplette Entgrenzung von Schulden zur Hochrüstung der Bundeswehr legt die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) konkrete Vorschläge zu deren Bewaffnung vor. Wie es in einem Papier heißt, zu dessen Autoren DGAP-Präsident Thomas Enders gehört, sollen in Europa „mehrere zehntausend Kampfdrohnen“ beschafft werden, um einen „weiträumigen Drohnenwall[…] über der NATO-Ostflanke“ zu errichten. Zudem seien der „Aufbau einer souveränen Satellitenkonstellation“ und der „Aufbau einer großflächigen Unterwasserüberwachung“ insbesondere in der Ostsee nötig. Die Autoren des Papiers legen zudem großen Wert darauf, die Entwicklung von „autonomen Systemen und Robotik“ und von „Angewandter KI“ voranzutreiben. Dabei gelte es auf „souveräner innereuropäischer Beschaffung“ zu bestehen, um der derzeitigen Abhängigkeit von den USA, in die man etwa mit den Kampfjets des Typs F-35 geraten sei, zu entkommen. Auch bei Nuklearwaffen zielt das DGAP-Papier auf Eigenständigkeit gegenüber Washington und den entsprechenden Aufbau „europäischer“ Potenziale; diese sollten den US-Potenzialen „ähnlich“ sein.
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Daten und digitale Integration
Das aktuelle Papier aus der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), das unter dem Titel „Abhängigkeit oder Selbstbehauptung“ veröffentlicht wurde, übt zunächst Kritik an der Verwendung der 100 Milliarden Euro Sonderschulden („Sondervermögen“), die die Bundesregierung unmittelbar nach Beginn des Ukraine-Krieges zur Verfügung gestellt hat. Die Mittel seien – „unter Zeitdruck“ – nicht auf die sinnvollste Art ausgegeben worden, heißt es in dem Papier: Sie seien überwiegend „in die Technologien der 2000er und 2010er Jahre“ geflossen und darüber hinaus „in großen Teilen … in nicht-europäische Systeme“ investiert worden; gemeint sind vor allem Produkte der US-Rüstungsindustrie.[1] „Entscheidend“ seien auf dem modernen Gefechtsfeld aber nicht „reine Stückzahlen von Panzern und Flugzeugen“, sondern andere, jüngere Waffen wie etwa Drohnen – und vor allem „Geschwindigkeit von Datenflüssen, Präzision und digitale Integration“. Die Bundesrepublik müsse deshalb „eine technologiegetriebene Verteidigungsstrategie“ verfolgen. So sollten militärische Investitionen künftig nicht nur „auf strategische Fähigkeiten“ orientieren – „Deep Strike und Luftabwehr“ –, sondern ganz besonders auf „moderne Technologiefelder“, so etwa auf „vernetzte und autonomere Systeme“ und auf den Weltraum.
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„Souveräne innereuropäische Beschaffung“
Speziell fordern die Autoren des Papiers – Ex-Airbus-Chef und DGAP-Präsident Thomas Enders; Airbus-Chef René Obermann (zuvor Telekom-Chef); der Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Moritz Schularick; die Investorin Jeannette zu Fürstenberg – ein Projekt mit dem Namen SPARTA (Strategic Protection and Advanced Resilience Technology Alliance). Deutschland solle dabei auf europäischer Ebene als „Initiator“ auftreten.[2] Insgesamt gehe es um „das unverzügliche Aufsetzen großer Rüstungsprogramme“, heißt es; dabei solle der „Fokus auf neue Technologien“ gelegt werden – und zwar bei „souveräner innereuropäischer Beschaffung“, um Abhängigkeiten von den USA zu vermeiden. Als Negativbeispiel gilt dabei der US-Kampfjet F-35, der „über eine hochgradig verschlüsselte und geschlossene Softwarearchitektur“ verfüge; das verkompliziere eine „direkte Integration in europäische Systeme“ und erfordere „regelmäßige Software-Updates und Wartungen …, die US-seitig kontrolliert werden, was zu einer fortdauernden Abhängigkeit führt“. DGAP-Präsident Enders warnt in einem aktuellen Interview: „Wir wissen, die Amerikaner können das Ding abschalten, wenn sie wollen.“[3] Die Autoren des DGAP-Papiers legen Wert auf hohes Tempo; so schlagen sie unmittelbare (sechs bis 12 Monate) und kurzfristige (ein bis drei Jahre), allenfalls mittelfristige (drei bis fünf Jahre) Projekte vor. Es gehe um „deutliche technologische Überlegenheit“ anstelle bloßen Aufholens bei überkommenen „Legacy-Plattformen“.
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„Zehntausende Kampfdrohnen“
Konkret schlagen die Autoren etwa die „Etablierung eines weiträumigen Drohnenwalls über der NATO-Ostflanke“ vor; dazu seien „mehrere zehntausend Kampfdrohnen“ nötig.[4] Schon vorhandene Waffensysteme sollten, soweit möglich, so modernisiert werden, dass sie im modernen Drohnenkrieg, wie man ihn von den Schlachtfeldern der Ukraine kennt, bestehen könnten. Rasch anzustreben sei zudem der „Aufbau einer souveränen Satellitenkonstellation“ inklusive „Echtzeit-Auswertung für militärische Anwendungen“, darunter die „Überwachung der NATO-Ostflanke“. Auch der „Aufbau einer großflächigen Unterwasserüberwachung“ müsse in Angriff genomen werden, dies „in Verbund mit Ostseeanrainerstaaten“. Die „schnelle Realisierung einer Europäischen Multi-Domain-Combat-Cloud für die dezentrale, vernetzte Nutzung von Daten auf dem Gefechtsfeld“ sei „zur Beschleunigung der eigenen Führungs- und, ultimativ, Wirkfähigkeit“ ebenfalls unumgänglich. Mit „Wirkfähigkeit“ ist die Fähigkeit von Waffen gemeint, feindliche Ziele effizient zu zerstören respektive – im Fall von Menschen – zu töten. Schließlich dringen die Autoren des DGAP-Papiers auch auf einen „Einstieg in unbemannte, souverän steuerbare Kampfdrohnen-Systeme“, die es ermöglichen sollen, „qualitative und quantitative Luft-Überlegenheit“ zu erreichen.
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„Ähnliche Nuklearfähigkeiten wie die USA“
Zu den fünf zentralen Technologiebereichen, auf die das SPARTA-Programm die deutschen bzw. europäischen Rüstungskonzerne fokussieren soll, zählen die Autoren des DGAP-Papiers neben „autonomen Systemen und Robotik“, „Angewandter KI“, Weltraumtechnologien und „Hyperschall-Waffensystemen“ ausdrücklich auch die Atomtechnologie; dabei ist explizit von „Ausbau und Modernisierung“ der Nuklearwaffenbestände die Rede. Zwar müsse „die bisherige Teilhabe Deutschlands am nuklearen Programm der NATO … bestehen bleiben“ – in der „Hoffnung“, die USA würden im Ernstfall die europäischen NATO-Mitglieder weiter unterstützen.[5] Zugleich heißt es jedoch, „Europa“ müsse „mit ähnlichen Fähigkeiten ausgestattet sein“. „Eine enge Zusammenarbeit Deutschlands“ mit den beiden Atommächten Frankreich und Großbritannien erscheine „zur Erweiterung der Kapazitäten“ und zur „Einbindung in deren spezifische Schutzschirme“ als „die beste Option“. Daran sollten sich „auch andere europäische Länder“ beteiligen. In dem DGAP-Papier wird der angestrebte Atomwaffenpakt als „Koalition der Freiheitsverteidiger“ bezeichnet.
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Die USA als Gegner
DGAP-Präsident Enders legt in einem aktuellen Zeitungsinterview nach und erklärt: „Es ist zwingend erforderlich, dass wir uns so weit und so rasch wie möglich von amerikanischen Systemen unabhängig machen“.[6] So gebe es etwa in der Flugabwehr mit dem französisch-italienischen System SAMP/T eine „ebenbürtige“ Alternative zu den Patriot-Raketen aus den USA. Tatsächlich hat die Bundesregierung mit ihrer Entscheidung, für die europäische Flugabwehrinitiative ESSI (European Sky Shield Initiative) das Patriot- dem SAMP/T-System vorzuziehen, schon im Jahr 2022 dafür gesorgt, dass Frankreich und Italien sich nicht an der ESSI beteiligen.[7] „Wir können einfach die Augen nicht davor verschließen“, fährt Enders fort, „dass diese amerikanische Regierung jetzt zum Gegner geworden ist“.
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https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9909
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