Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
nach Donald Trumps Wahlsieg und dem Ampel-Aus ist die Krisendiplomatie in Bewegung geraten. Noch ergeben sie kein Gesamtbild, doch täglich werden neue Puzzleteile sichtbar, die einen Waffenstillstand in der Ukraine ermöglichen könnten. Für die Menschen in dem kriegsgeschundenen Land und auch für viele russische Männer, die als Soldaten an die Front geschickt werden, wäre so ein kalter Frieden ein Segen. Für Deutschland wäre er außerdem teuer.
Noch sagt es kein Spitzenpolitiker öffentlich, aber den Berliner Entscheidern droht ein heikler Jahresbeginn: Am 20. Januar wird Trump als neuer US-Präsident vereidigt, am 23. Februar findet die Bundestagswahl statt. Dazwischen liegt ein ganzer Monat, in dem Deutschland mit einer Minderheitsregierung herumeiert, während der neue Mann im Weißen Haus ruckzuck Fakten schaffen will. In „weniger als 24 Stunden“ wolle er den Krieg beenden, hat Trump mehrfach getönt. Das mag man für eine seiner typischen Übertreibungen halten, doch sein Team arbeitet bereits an einem Sofortplan, der nun tröpfchenweise in amerikanischen Medien durchsickert.
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Dieser Plan hat es in sich:
Die Regierung in Kiew soll für 20 Jahre auf den Nato-Beitritt verzichten.
Die Frontlinie soll eingefroren und eine demilitarisierte Zone geschaffen werden – und diese Zone sollen europäische Soldaten überwachen.
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Kann das funktionieren? Das Weiße Haus hält als größter Waffenlieferant der Ukraine alle Trümpfe in der Hand: Zieht es sich aus dem Konflikt zurück, könnten Putins Bataillone wohl die Ukraine überrennen, Hunderttausende Flüchtlinge würden gen Westen fliehen, Moldau und die baltischen Staaten müssten als Nächste mit russischen Aggressionen rechnen. Ein Horrorszenario für die EU-Staaten. Deshalb glühen nun die diplomatischen Drähte. „Im Hintergrund laufen bereits Gespräche zwischen westlichen Regierungen und den entscheidenden Akteuren der künftigen Trump-Administration“, berichtet unser Reporter Patrick Diekmann vom Außenministertreffen der G7-Staaten.
Zwar lehnt es der Kreml bisher strikt ab, den Konflikt mit der Ukraine einzufrieren. Doch das könnte sich ändern, wenn Trump starken Druck erzeugt und Putin zugleich einen halbwegs gesichtswahrenden Ausweg anbietet. Zum Beispiel durch einen gemeinsamen Auftritt vor den Fernsehkameras der Weltpresse, bei dem sich die beiden Profilneurotiker als „geniale Dealmaker“ präsentieren können. Aus Washington ist zu hören, Trump ersehne nichts mehr als den Friedensnobelpreis, um endlich mit Barack Obama gleichzuziehen. Aus Moskau ist nichts Derartiges zu hören, weil gut informierte Journalisten dort umgebracht werden, aber auch in Russland ist der Krieg mittlerweile unpopulär: Familien trauern um tote Männer, Söhne und Väter, die Lebensmittelpreise steigen, in den Geschäften fehlen wegen der Sanktionen viele Alltagswaren.
Trump und Putin servieren die Suppe – und die Europäer müssen sie auslöffeln?
Kein demokratischer Regierungschef schickt gerne Soldaten in ein Kriegsgebiet. In Paris und London reißt sich deshalb niemand um das Himmelfahrtskommando; von einem „Schreckgespenst“ schreibt mein Kollege Simon Cleven. Jedoch sind die menschlichen, wirtschaftlichen und finanziellen Kosten nach bald drei Jahren Krieg auch in Westeuropa so hoch, dass der dringende Wunsch nach einem Ende des Abschlachtens hohe Kompromissbereitschaft erzeugt. Weil die Bundeswehr in ihrem gegenwärtigen Zustand noch nicht einmal in der Lage wäre, Frankfurt/Oder länger als 24 Stunden zu verteidigen, müssten wohl Briten und Franzosen den Großteil einer Friedenstruppe stellen – die im Zweifelsfall auch eingreifen könnte, falls die Kämpfe zwischen Russen und Ukrainern erneut aufflammen. Beide Armeen haben Kampferfahrungen in Afrika, im Irak und in Afghanistan gesammelt.
Und Deutschland?
Müsste natürlich auch seinen Teil zur Sicherung des kalten Friedens in Europa leisten – und das könnte bedeuten: Die künftige Bundesregierung, egal ob mit Friedrich Merz, Olaf Scholz oder sonst wem an der Spitze, müsste das Portemonnaie sperrangelweit öffnen. Zweistellige Milliardenbeträge könnten für die Unterstützung eines europäischen Truppeneinsatzes notwendig sein – jährlich. Selbst mit einer Lockerung der Schuldenbremse – die bislang noch gar nicht auf der Agenda steht – wäre das ein enormer Kraftakt, der zwangsläufig harte Einschnitte bei anderen Haushaltsposten nach sich zöge. Denkbar, dass für Rentenerhöhungen, sozialen Wohnungsbau, Windräder, klimafreundliche Stromnetze und vieles Weitere dann schlicht kein Geld mehr da ist. Und dass an Steuererhöhungen kein Weg vorbeiführt.
Wohlgemerkt: Bislang ist all das nur ein Szenario. Aber dessen Plausibilität wächst.
Das wollen die Wahlkämpfer im Berliner Regierungsviertel natürlich nicht hören. Sie haben in den Wünsch-dir-was-Modus geschaltet und verkünden eifrig, welche Wohltaten sie den Bürgern zu gönnen gedenken, wenn man sie nur bitte schön wählt. Die Versprechungen von SPD und CDU, CSU und Grünen, BSW und so weiter mögen sich zwar inhaltlich unterscheiden, machen finanziell aber keinen wesentlichen Unterschied.
In normalen Zeiten ist so ein Verhalten verständlich. Während Wochen, in denen die Koordinaten der europäischen Sicherheitsordnung neu vermessen werden, ist es fahrlässig. Will Deutschland über seine Zukunft mitentscheiden, muss es schleunigst wieder sprechfähig werden. Bis Ende Februar zu warten, ist zu spät. Schon jetzt könnten sich die Kanzlerkandidaten Merz und Scholz vertraulich abstimmen. Tragisch, dass sie nicht mehr miteinander reden. Wirklich tragisch.
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