Kurz vor seiner Amtseinführung wirkte Donald Trump bei der Sprecherwahl im Repräsentantenhaus plötzlich wie ein Verlierer. Doch das politische Machtspiel hinter den Kulissen zeigt: Trump ist der wahre Boss im Kongress.
Bastian Brauns berichtet aus Washington
Für einen kurzen Moment sieht Donald Trump an diesem Freitag in Washington wie ein Verlierer aus. Und das nur wenige Tage vor seiner zweiten Amtseinführung am 20. Januar. Denn ausgerechnet der von ihm öffentlich unterstützte Republikaner Mike Johnson droht mit einem Mal bei der wichtigsten Wahl dieses neuen Jahres zu straucheln. Am Ende aber werden sich die Dinge gänzlich anders darstellen.
Auf dem berühmten Hügel in der US-Hauptstadt, dem Capitol Hill, sind alle neu gewählten 434 Abgeordneten zur konstituierenden Sitzung zusammengekommen. Der erste Tagesordnungspunkt besteht auch bei dieser 119. Kongress-Periode darin, über das mächtige Amt des Sprechers des Repräsentantenhauses abzustimmen.
Es ist ein feierlicher Moment. Viele Abgeordnete bringen ihre Kinder, Ehepartner und weitere Familienmitglieder mit. Sie sitzen sogar noch während der Abstimmungen im Plenum in den Bänken neben den gewählten Volksvertretern. Man herzt und umarmt sich, schießt Selfies mit den Smartphones. Immerhin sind jetzt für weitere zwei Jahre das eigene finanzielle Einkommen und sehr viel Macht gesichert.
Trumps vermeintliche Schwäche
Dann aber wird es ernst, vorrangig für einen Mann, der schon in der vergangenen Legislaturperiode unter großem Druck stand: Mike Johnson, erzkonservativer, evangelikaler Republikaner aus dem Bundesstaat Louisiana, will erneut zum Sprecher des Repräsentantenhauses gewählt werden. Nach dem Vize-Präsidenten würde ihn diese Wahl nicht nur zum zweiten Stellvertreter des US-Präsidenten machen. Johnson dürfte einmal mehr die gesetzgeberische Agenda der USA bestimmen. Kein Gesetzesvorhaben schafft es ohne Zustimmung des Speakers ins Plenum.
Aber die Lage für Mike Johnson scheint noch prekärer als in der vergangenen Wahlperiode. Denn die republikanische Partei liegt bei 434 Parlamentsmitgliedern mit 219 Abgeordneten nur hauchdünn über der nötigen einfachen Mehrheit von 218 Stimmen. Und tatsächlich: Am Ende des ersten Wahlgangs droht Mike Johnson zu scheitern. Drei Abgeordnete aus den eigenen Reihen stellen sich gegen ihn und nennen andere Kandidaten. Johnson kommt zunächst nur 216 Stimmen. Sein demokratischer Gegenkandidat Hakeem Jeffries erhält 215 Stimmen.
In diesem Augenblick scheint nicht nur Mike Johnson schwach, sondern auf den ersten Blick auch der gewählte Präsident Donald Trump. Denn er hatte sich kurz zuvor öffentlich für eine Wiederwahl Johnsons ausgesprochen. Minute um Minute verstreicht im US-Parlament. Mike Johnson hat den Saal verlassen und führt wichtige Gespräche, um womöglich Zugeständnisse an die Abweichler zu machen. Noch ist das Ergebnis dieses ersten Wahlgangs nicht offiziell verkündet. Es gehört zu den Besonderheiten des amerikanischen Parlamentarismus, dass Abgeordnete während dieser Zeitspanne noch einmal intervenieren und ihre bereits abgegebene Stimme ändern können.
Eine Machtdemonstration des neuen Präsidenten
Nach diesem bangen Warten kommt Mike Johnson plötzlich doch auf 218 Stimmen im ersten Wahlgang. Zwei Parteifreunde ändern ihr Votum zu seinen Gunsten. Lediglich ein Republikaner, Thomas Massie aus Kentucky, bleibt eisern und verweigert ihm die Stimme. Ein knapperes Ergebnis als dieses gibt es nicht. Alles wirkt mit einem Mal wie ein absurdes Schauspiel, welches man sich auch hätte sparen können. Warum geben sich die Republikaner die Blöße, ihren wichtigsten Mann im Parlament schwach erscheinen zu lassen?
Doch ein Verdacht liegt nahe: Der kurze Zittermoment für Mike Johnson wirkt orchestriert von außen. Von einem Mann, der fortan nicht im Parlament, sondern im Weißen Haus sitzen wird. Abzulesen ist das etwa am Verhalten einer besonders loyalen Trump-Vertrauten. Während Mike Johnson noch zittert, telefoniert die für ihre rechtsextremen Ansichten und Verschwörungstheorien bekannte Abgeordnete Marjorie Taylor Greene demonstrativ mit ihrem Smartphone im Plenum. Mit vorgehaltener Hand, damit keine Lippenleser den Inhalt ihres Gesprächs entschlüsseln können.
Eine Fotografin der Nachrichtenagentur Reuters erhascht dann aber ein Bild, das den Anrufbildschirm ihres Smartphones offenbart. Marjorie Taylor Greene telefoniert mit Donald Trumps neuer Stabschefin im Weißen Haus, Susie Wiles. Der Posten gilt inoffiziell als der wichtigste in Washington neben dem US-Präsidenten. Nicht nur dieses Telefonat spricht dafür, dass Trumps Team hinter der Zitterpartie für Mike Johnson steckt.
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Eine Drohgebärde für die zwei kommenden Jahre
Das klare Signal von Trump an Mike Johnson und damit auch alle anderen Abgeordneten dürfte sein: Du gehörst mir. Wenn ich will, kann ich dich einfach fallen lassen. Solltest du meine politische Agenda nicht lückenlos umsetzen, bekommst du es mit meinen loyalsten Abgeordneten zu tun. Im Zweifelsfall wirst du abgewählt, so wie dein glückloser Vorgänger Kevin McCarthy.
Wie viel für dieses mögliche symbolische Drohszenario spricht, zeigt wenig später auch ein Brief, den elf weitere besonders Trump-loyale Abgeordnete veröffentlichen. Der Brief listet umfangreiche Forderungen an den neu gewählten Sprecher Mike Johnson auf. Die unterschwellige Botschaft ist klar: Johnsons Amtszeit als Sprecher ist an seine Loyalität gegenüber Trumps Agenda geknüpft.
Nicht Johnson ist der wahre Chef im Repräsentantenhaus, sondern Trump. Über seine Stellvertreter im Kongress kann er dem Sprecher seine Bedingungen buchstäblich diktieren. Von Johnson wird fortan erwartet, zentrale Gesetzesvorhaben der Trump-Regierung voranzutreiben. Dazu gehören:
- 1. Eine kompromisslose Sicherung der Grenze.
- 2. Massive Ausgabenkürzungen ohne parteiübergreifende Zugeständnisse.
- 3. Reformen im Wahlrecht, die Trumps Klagen über die verlorene Wahl von 2020 Rechnung tragen.
Eine schlechte Nachricht für Trump gibt es doch
Johnsons Fähigkeit, diese Maßnahmen umzusetzen, wird durch seine hauchdünne Mehrheit von 219 Abgeordneten stark eingeschränkt. Diese vermeintliche Schwäche der Republikaner dürfte sich genau darum aber als Stärke Trumps herausstellen. Zwar müssen die Republikaner gegenüber den Demokraten künftig bei jeder Abstimmung immer in ausreichender Mannschaftsstärke erscheinen, weil sie sonst mit ihren Vorhaben zu scheitern drohen. Aber innerparteilich reicht eine kleine Fraktion radikaler Mitglieder aus, um aus Trumps Sicht unzureichende Gesetzesinitiativen jederzeit zu blockieren oder kritische Kompromisse mit den Demokraten zu torpedieren.
Dieser eiserne Griff von Donald Trump wird zwar auch etwas abgemildert. Denn laut neuer Regeln kann nicht mehr nur ein einzelner Abgeordneter die Abwahl des Sprechers beantragen. Dazu benötigt es ab sofort acht weitere Unterstützer. Sollte Trump aber Johnson wirklich fallen lassen wollen, dürfte diese neue kleine Hürde kein Problem darstellen.
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