In der europäischen Energiepolitik zeichnet sich eine kontroverse Debatte um die mögliche Wiederaufnahme russischer Gaslieferungen ab. Nach Informationen aus EU-Kreisen wird derzeit hinter verschlossenen Türen in Brüssel intensiv über eine Reaktivierung der Pipeline-Infrastruktur als Teil eines potenziellen Friedensabkommens für die Ukraine diskutiert.
Besonders Deutschland und Ungarn, unterstützt von weiteren EU-Mitgliedstaaten, sehen in der Wiederaufnahme der Gasbeziehungen zu Moskau einen möglichen Weg, die hohen Energiekosten in Europa zu senken. Ein hochrangiger EU-Beamter, der anonym bleiben möchte, bestätigt gegenüber der Financial Times: “Der Druck einiger großer Mitgliedstaaten wegen der Energiepreise ist erheblich, und dies wäre ein Weg, sie zu senken.”
Wird Nord Stream 2 instandgesetzt?
Die Diskussion erfolgt vor dem Hintergrund dramatisch gestiegener Energiepreise in Europa, die mittlerweile das Drei- bis Vierfache des US-amerikanischen Niveaus erreichen. Vor dem Krieg deckte russisches Pipeline-Gas etwa 40 Prozent des EU-Bedarfs ab, wobei Deutschland der größte Abnehmer war. Insofern ist es auch interessant, dass Dänemark Gazprom erlaubt hat, Reparaturarbeiten an Nord Stream 2 durchzuführen. Offiziell natürlich lediglich aus Umweltschutzgründen.
Geteilte Meinungen in den EU-Nationen
Die slowakische EP Infrastructure, die durch den Lieferstopp jährliche Transitverluste von 500 Millionen Euro verkraften muss, sieht in einer Wiederaufnahme der Lieferungen wirtschaftliche Chancen. CEO Gary Mazzotti erklärt: “Wenn der Tag des Friedens kommt, wird es mit Sicherheit bedeutende Diskussionen über die richtigen Gasliefermengen nach Europa und deren Herkunft geben.”
Doch der Vorstoß stößt auf erbitterten Widerstand, besonders bei osteuropäischen EU-Mitgliedern. “Es ist Wahnsinn”, kommentiert ein hochrangiger EU-Diplomat die Überlegungen. Die Kritiker sehen die jahrelangen Bemühungen um Energieunabhängigkeit von Russland gefährdet. Auch US-amerikanische Flüssiggas-Exporteure zeigen sich beunruhigt. Sie befürchten, dass ihre profitablen langfristigen Lieferverträge mit europäischen Unternehmen durch günstigeres russisches Pipeline-Gas unrentabel werden könnten.
EU-Kommission will Verzicht
Die EU-Kommission hält bisher offiziell an ihrem Ziel fest, bis 2027 vollständig auf russische fossile Brennstoffe zu verzichten. Energiekommissar Dan Jørgensen will im März einen detaillierten Plan vorlegen, wie dieses Ziel erreicht werden soll.
Die aktuelle Debatte verdeutlicht den wachsenden Konflikt zwischen wirtschaftlichen Interessen und geopolitischen Zielen in der europäischen Energiepolitik. Während die einen in der Wiederaufnahme der Gasbeziehungen zu Russland einen Weg zum Frieden und zu niedrigeren Energiepreisen sehen, warnen andere vor einer gefährlichen Abhängigkeit von Moskau.