In den vergangenen Wochen haben die Europäische Kommission und mehrere nationale Regierungen eine Kommunikationswelle entfesselt, die an die düstersten Phasen der Pandemie erinnert – oder an den Ausbruch eines drohenden Krieges. In Frankreich werden Überlebenshandbücher vorbereitet, Brüssel präsentiert „zivile Resilienz“-Strategien, und überall häufen sich Empfehlungen, sich mit Wasser, Medikamenten und Lebensmitteln einzudecken. Die gemeinsame Botschaft: Die Bevölkerung soll sich auf das Schlimmste vorbereiten – auf bewaffnete Angriffe, Klimakatastrophen, digitale Infrastrukturausfälle oder hybride Bedrohungen.
Auf den ersten Blick mag all dies dem Schutz der Bürger dienen. Doch hinter dem zunehmenden Alarmismus verbirgt sich ein politisches, militärisches und finanzielles Projekt von enormem Ausmaß: der Aufbau eines neuen europäischen Verteidigungskomplexes. Geplant ist die Mobilisierung von fast 1 Billion Euro, größtenteils aus öffentlichen Geldern – ohne klaren Fahrplan und ohne eine echte demokratische Debatte über die Konsequenzen.
Angst als Treibstoff für Zentralisierung
Die Europäische Kommission warnt in ihrer neuen Union Preparedness Strategy vor einer sich verschärfenden Sicherheitslage. Das am 26. März veröffentlichte Dokument schlägt 30 Maßnahmen vor, mit denen sich die Bevölkerung auf sämtliche Krisen vorbereiten soll – von Cyberangriffen über Naturkatastrophen bis hin zu Sabotageakten an kritischer Infrastruktur und der allgegenwärtigen Bedrohung durch Russland.
Doch eine genauere Lektüre offenbart ein klares Muster: Angst wird zum politischen Hauptinstrument, um gigantische Ausgaben zu legitimieren und mehr Macht in Brüssel zu konzentrieren. Der Ton des Strategiepapiers ist nahezu apokalyptisch:
„Wir müssen uns auf groß angelegte, sektorübergreifende Zwischenfälle und Krisen vorbereiten – einschließlich eines möglichen bewaffneten Angriffs auf ein oder mehrere Mitgliedstaaten.“
Solche Aussagen gehen von einem Szenario aus, in dem Europa angegriffen wird, die Infrastruktur kollabiert und die Gesellschaft ohne zivilen Rückhalt für das Militär zerfällt. Diplomatie, nationale Verteidigung oder das Prinzip der Subsidiarität? Scheinen in diesem Konzept keine Rolle mehr zu spielen. Stattdessen wird unter dem Vorwand der Sicherheit ein Umbau der EU hin zu einem zentralisierten, von oben gesteuerten System vorangetrieben.
Konditionierung statt Vorbereitung
Die Empfehlung, sich für 72 Stunden mit Taschenlampen, Konserven, Medikamenten und Trinkwasser einzudecken, klingt zunächst vernünftig. Doch wenn dies eingebettet ist in eine Strategie, die gleichzeitig massive Aufrüstung und das Narrativ eines „unvermeidlichen Krieges“ propagiert, stellt sich die Frage: Geht es hier wirklich um Vorbereitung – oder um psychologische Konditionierung?
In Frankreich soll im Sommer ein Überlebenshandbuch verteilt werden. Es reicht von der Abdichtung der Fenster bei einem Atomangriff bis hin zur freiwilligen Beteiligung am Zivilschutz. Zwar vermeidet die offizielle Version den Begriff „Krieg“, doch die Atmosphäre – besonders in den Reden von Präsident Macron – lässt einen klaren Vorkriegs-Ton erkennen.
Auch Schweden, das als Vorbild gilt, verteilt zum fünften Mal seit dem Zweiten Weltkrieg ähnliche Ratgeber. Doch heute – nach dem NATO-Beitritt und angesichts eines zunehmend kriegerischen Diskurses – erhalten diese Kampagnen einen deutlich bedrohlicheren Unterton.
Versteckte Kosten: Schulden, Machtverschiebung, Entdemokratisierung
Besorgniserregend ist, dass dieser strategische Wandel ohne echte öffentliche Debatte erfolgt – ohne Einbindung der Bürger und mit enormer Intransparenz über die finanziellen, sozialen und politischen Folgen. Die EU plant, bis zu 800 Milliarden Euro für ihren Aufrüstungsplan bereitzustellen – davon 150 Milliarden Euro aus gemeinsamen Schulden. Die Zukunft ganzer Generationen wird damit verpfändet, gestützt auf ein Sicherheitskonzept, das niemand klar definiert hat.
Zugleich dient der militärische Kurs der Vertiefung der europäischen Integration – zulasten nationaler Souveränität. Der oft beschworene „Geist der Solidarität“ wird zu einem rhetorischen Vorwand, um Kompetenzen in den Bereichen Militär, Industrie und Strategie in Brüssel zu konzentrieren – obwohl sie eigentlich in der Verantwortung der Mitgliedstaaten liegen sollten.
Gesellschaft im Ausnahmezustand
Das Strategiepapier fordert ausdrücklich, die Themen Sicherheit und Vorbereitung in bestehende und künftige EU-Gesetze, -Politiken und -Strategien zu integrieren. Dazu wurden 30 vorrangige Maßnahmen definiert, unterteilt in sieben Handlungsfelder – etwa die Kooperation zwischen Zivilbehörden und Militär, bessere Koordinierung mit dem Privatsektor oder die Förderung gesellschaftlicher Resilienz.
In einem Anhang listet die Kommission rund 60 Einzelmaßnahmen für die kommenden zwei Jahre auf. Für das laufende Jahr stehen dabei folgende Punkte im Fokus:
- Bekämpfung von Desinformation
- Bewertung der Krisenfestigkeit im Finanzsektor
- Integration von „Resilienz-Trainings“ in Schulen und Bildungseinrichtungen
Der Diskurs über „zivile Resilienz“ wird zum trojanischen Pferd: Er soll eine enge Verzahnung von Zivilgesellschaft und Militär, regelmäßige Übungen und die Gewöhnung an einen permanenten Ausnahmezustand fördern.
Was ist das für eine Gesellschaft, in der Kinder nicht mit Geschichtsbüchern, sondern mit Anleitungen zum Überleben biologischer Angriffe oder digitaler Blackouts aufwachsen?
Der eigentliche Unsicherheitsfaktor: Die Politik selbst
Das Paradoxon der Brüsseler Katastrophenrhetorik ist offensichtlich: Sie präsentiert sich als bloße Reaktion auf eine gefährliche Welt – und verschweigt, dass viele der heutigen Unsicherheiten von der EU selbst mitverursacht oder schlecht gesteuert wurden.
Beispiele?
- Die unkontrollierte NATO-Osterweiterung
- Die chaotische Migrationspolitik
- Die ideologisch motivierte Energieabhängigkeit
- Die Destabilisierung des globalen Gleichgewichts durch Sanktionen und Blockaden
All das hat die Welt nicht sicherer gemacht – sondern instabiler. Doch statt selbstkritischer Analyse fordert Brüssel nun: mehr Kontrolle, mehr Schulden, weniger nationale Eigenständigkeit.
Fazit: Zwischen Vorsorge und Panikmache
Niemand bezweifelt, dass Notfallvorsorge in einer instabilen Welt notwendig ist. Aber es macht einen Unterschied, ob man Gesellschaften vorbereitet – oder systematisch in Angst versetzt.
Der Grat zwischen kluger Vorsorge und kontrollierter Panik ist schmal. Europa scheint ihn mit zunehmender Selbstverständlichkeit zu überschreiten.
Die geplante Aufrüstung der EU ist unter diesen Bedingungen kein klassisches Verteidigungsprojekt. Sie ist ein ideologischer Umbau, ein Marsch in einen zentralisierten Militärblock, finanziert mit kollektiven Schulden – und legitimiert durch Angst.
Und genau das sollte uns weit mehr beunruhigen als jede Checkliste in einem Überlebenshandbuch.