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Auf Basis ungenauer extremer Klimamodelle wird wieder einmal versucht, mittels einer Studie Panik hinsichtlich des Eises in Grönland zu schüren. Dabei hat das Eisschild dort im Laufe der Geschichte schon deutlich höhere Temperaturen unbeschadet überstanden. Das globale Klimasystem ist einfach zu komplex, als dass es in simple Modelle gepackt werden könnte.
In der Klimaforschung sorgt eine neue Studie für Aufsehen, die einen möglichen “Kipppunkt” für das vollständige Abschmelzen des grönländischen Eisschilds identifiziert haben will. Die im Fachjournal “The Cryosphere” veröffentlichte Arbeit von Petrini et al. mit dem Titel “A Topographically Controlled Tipping Point for Complete Greenland Ice Sheet Melt” prognostiziert dramatische Folgen bei einer globalen Erwärmung von 3,4 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau.
Die Forscher stützen ihre Erkenntnisse auf Computersimulationen mit dem Community Ice Sheet Model (CISM2) in Verbindung mit dem Community Earth System Model (CESM2). Laut ihren Berechnungen könnte bereits eine geringfügige Veränderung der Oberflächenmassenbilanz (SMB) von 255 auf 230 Gigatonnen pro Jahr ausreichen, um einen Prozess in Gang zu setzen, der zum nahezu vollständigen Abschmelzen des Eisschilds führen würde. Doch wie belastbar sind diese Prognosen wirklich? Die Studie wirft grundlegende Fragen zur Methodik und Interpretation von Klimamodellen auf, die einer kritischen Betrachtung bedürfen.
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Modellbasierte Prognosen unter der Lupe
Der Kern der Studie beruht auf Computermodellen, die unter der Annahme eines “hohen CO₂-Ausstoßes” operieren. Dabei bleibt die genaue Emissionskurve, auf der die Simulationen basieren, im Unklaren. Dies ist bemerkenswert, da viele Klimastudien auf extreme Szenarien wie RCP8.5 zurückgreifen, die von Kritikern als unrealistisch eingestuft werden, da sie von einem nahezu exponentiellen Anstieg der CO₂-Emissionen ausgehen.
Die Autoren beschreiben einen Mechanismus, bei dem das Abschmelzen an der Oberfläche zu einer Höhenverringerung führt, was wiederum die Temperatur erhöht und weiteres Schmelzen begünstigt. Dieser als “SMB-Höhen-Feedback” bezeichnete Prozess soll dem entgegenwirkenden Effekt der glazialen isostatischen Anpassung (GIA) – dem Anheben des Untergrunds nach Entlastung durch schmelzendes Eis – überwiegen und so einen Teufelskreis in Gang setzen.
Besonders interessant ist die Beobachtung der Forscher, dass die Topographie im zentralen Westen Grönlands eine entscheidende Rolle spielen soll. Sie vermuten, dass genau diese Region während der letzten Warmzeit vor etwa 130.000-115.000 Jahren verhindert hat, dass der Eisschild vollständig verschwand – trotz damals höherer Temperaturen als heute.
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Zwischen Wissenschaft und Alarmismus
Die Studie reiht sich ein in eine wachsende Zahl von Publikationen, die vor dramatischen “Kipppunkten” im Klimasystem warnen. Solche Szenarien eignen sich hervorragend für Schlagzeilen, doch ihre wissenschaftliche Fundierung bleibt oft hinter dem medialen Echo zurück.
Bemerkenswert ist auch der Zeitrahmen: Die Simulationen erstrecken sich über Jahrtausende – ein Zeitraum, in dem unzählige unvorhersehbare Faktoren die Entwicklung beeinflussen können. Die Genauigkeit von Klimamodellen nimmt mit zunehmender Prognosedauer rapide ab, was die Verlässlichkeit solcher Langzeitszenarien grundsätzlich in Frage stellt.
Historische Daten zeigen zudem, dass der grönländische Eisschild während des holozänen Klimaoptimums vor etwa 8.000 bis 5.000 Jahren Temperaturen standhielt, die deutlich über den heutigen lagen. Dies deutet auf eine höhere Widerstandsfähigkeit hin, als die aktuellen Modelle nahelegen.
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Wissenschaftliche Förderung und mediale Aufmerksamkeit
Es ist kein Geheimnis, dass dramatische Forschungsergebnisse mehr Aufmerksamkeit generieren als moderate Prognosen. Dies wirft die Frage auf, inwieweit die Forschungsförderung und mediale Berichterstattung die Ausrichtung wissenschaftlicher Studien beeinflussen.
Die Autoren selbst räumen ein, dass ihre Ergebnisse von den verwendeten Modellen abhängen und weitere Forschung notwendig sei. Diese Einschränkungen finden in der öffentlichen Debatte jedoch kaum Beachtung, wo komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge oft auf vereinfachte Botschaften reduziert werden.
Reale Beobachtungen versus Modellprojektionen
Während Grönland in den letzten Jahrzehnten tatsächlich Eismasse verloren hat, zeigen Satellitenmessungen ein differenzierteres Bild als die Modellprojektionen. Die natürlichen Schwankungen der Eismasse mit Perioden des Schmelzens und Wachstums werden in den Modellen möglicherweise nicht ausreichend berücksichtigt.
Zudem deuten paläoklimatische Daten darauf hin, dass der grönländische Eisschild auch während früherer Warmperioden nicht vollständig verschwand. Die von den Forschern selbst hervorgehobene schützende Wirkung der Topographie im zentralen Westen Grönlands spricht gegen ein Katastrophenszenario, selbst unter extremen Erwärmungsbedingungen.Fazit: Wissenschaftliche Sorgfalt statt Alarmismus
Die Studie von Petrini et al. liefert wertvolle Einblicke in mögliche Mechanismen der Eisschmelze in Grönland. Gleichzeitig illustriert sie die Grenzen modellbasierter Klimaprognosen, insbesondere über Zeiträume von mehreren Jahrtausenden.
Eine verantwortungsvolle Klimapolitik sollte auf soliden wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren, nicht auf Extremszenarien mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit. Die Komplexität des Klimasystems erfordert eine differenzierte Betrachtung, die sowohl die Risiken des Klimawandels als auch die Unsicherheiten in den Prognosemodellen angemessen berücksichtigt.