Großbritannien macht einen großen Schritt in Richtung Erweiterung der Möglichkeiten des Staates, seine Bürger zu steuern und zu überwachen. Das Justizministerium prüft die massive Ausweitung des technisch überwachten Hausarrests für Straftäter. Gleichzeitig plant der staatliche Nationale Gesundheitsdienst NHS, Millionen Smartwatches und Smart-Ringe an die Versicherten zu verteilen. Damit sollen deren Körperdaten laufend überwacht, gemeldet und analysiert werden.
Als Teil einer 10-Jahres-Initiative zur Modernisierung des Gesundheitswesens im Vereinigten Königreich plant der NHS die Fernüberwachung von Millionen Patienten mit am Körper zu tragenden Geräten zu ermöglichen. Die Traggeräte (engl. Wearables) sollen die Fernüberwachung des Blutdrucks, des Blutzuckerspiegels und der Vitalfunktionen von Krebspatienten unterstützen. Dadurch sollen Arztbesuche eingespart und die Früherkennung von Gesundheitsproblemen verbessert werden. Noch sind die Geräte, Experten zufolge, nicht so ausgereift, dass sie diese Aufgaben zuverlässig erfüllen könnten. Aber es handelt sich um einen Zehnjahresplan und die technische Entwicklung geht sehr schnell voran. Die Daten sollen in aufbereiteter Form für die Patienten auf der NHS App einsehbar sein.
Es gehört wenig Fantasie dazu, sich auszumalen, was möglich und wohl auch wahrscheinlich wird, wenn es einmal zur Norm geworden ist, dass Versicherte mit Traggeräten ihre Körperfunktionen und den Zustand ihres Körpers überwachen lassen. Aus den Blutwerten eines Diabetes-Patienten lässt sich ablesen, ob er Ernährungsempfehlungen einhält. Tut er es nicht, werden irgendwann Strafen winken, bis hin zum Verlust des Versicherungsschutzes. Begründet wird das dann damit, dass man den anderen Versicherten nicht zumuten kann, für derart unsolidarisches Verhalten zu bezahlen.
Nimmt ein Patient seine Medikamente wie vom Arzt verordnet ein oder vertraut er vielleicht stattdessen eher auf Naturheilverfahren? Letzteres könnte dann sehr teuer für ihn werden, wenn der Gesundheitsminister das für Hokuspokus hält. Irgendwann sind dann die Gesunden mit dran, die ja schließlich gesund bleiben sollen. Halten sie sich an die behördlich empfohlenen Ernährungsregeln? Treiben sie genug Sport? Wenn nicht, werden sie bestraft. Bei der Einführung erst einmal nur dadurch, dass sie eine ausgelobte Gesundheitsprämie nicht bekommen. Wenn das eingeübt ist, kann man zur direkten Bestrafung „ungesunden“ Lebenswandels übergehen.
Hausarrest auch für schwere Straftaten
So wie die Unterfinanzierung des Gesundheitswesens bei steigendem Bedarf aufgrund der Alterung dort den Sparzwang schafft, dem mithilfe von Überwachungstechnik nachgekommen werden soll, bringt die Unterfinanzierung des Strafvollzugs bei steigender Kriminalität den gleichen Zwang und den gleichen Lösungsvorschlag hervor. Beim derzeitigen Trend steigt die Anzahl der Gefängnisinsassen in Großbritannien um 4.500 pro Jahr. Die dafür nötigen Gefängnisse werden aber nicht gebaut. Es herrscht bereits Überfüllung. Deshalb wurden vor einer Woche über 1.200 Straftäter vorzeitig entlassen, die mindestens fünf Jahre und 40 Prozent ihrer Strafe abgesessen hatten. Doch schon ab nächsten Sommer wird erneute Überfüllung der Haftanstalten prognostiziert.
Deshalb untersucht nun im Auftrag von Justizministerin Shabana Mahmood eine Kommission die Möglichkeit, Straftäter stattdessen in „virtuellen Gefängnissen“ zuhause einzusperren. Die Verurteilten sollen nach den Vorstellungen der Ministerin mit GPS-Sendern zur Standortverfolgung, Sensoren zur Erkennung von Alkohol und Drogen im Blut und mit Smartwatches für Botschaften zur Verhaltenssteuerung ausgestattet werden. Die unter Hausarrest Gesetzten würden an Treffen mit ihren Bewährungshelfern oder Psychotherapeuten erinnert.
Fazit
Die Initiative des NHS wäre eine gute Sache, wenn sie den Versicherten tatsächlich helfen möchte, selbstbestimmt Körpersignale zu erfassen und auszuwerten und so Krankheitssignale frühzeitig zu erkennen. Dazu müssten Geräte angeboten werden, die auf die Übermittlung aller Daten an eine zentrale Stelle zur Auswertung und Speicherung verzichten, sondern stattdessen die Auswertung im Gerät des Nutzers vornehmen. Die datenhungrigen Anbieter wollen das natürlich nicht. Doch der NHS könnte helfen, deren Abneigung zu überwinden. Aber der NHS hat das Gegenteil vor und will selbst auch die Daten haben mit allem Potential für verhaltenslenkenden und freiheitsbeschränkenden Missbrauch, den das bietet.
Die Initiative der Justizministerin zeigt dieses Gefahrenpotenzial überdeutlich. Ihr geht es explizit darum, das Verhalten der Straftäter zu lenken. Das ist in diesem Kontext nicht unbedingt schlecht. Es kann viel Geld sparen und Kriminalisierung im Knast vermeiden helfen. Aber es ist eine Zielsetzung und eine Macht, die ganz eng auf solche Kontexte begrenzt bleiben muss. Gegen eine Ausweitung auf andere Kontexte sind hohe Schutzwälle zu errichten. Das Gegenteil geschieht jedoch, und für Deutschland hat Digitalminister Wissing jüngst klargestellt, dass es absichtsvoll geschieht. Digitalisierung first, Bedenken second. Auf welchen abschüssigen Weg Richtung Sozialkreditsystem das führt, ist international bereits zu besichtigen. Zuerst geht es gegen die Schwächsten mit der schwächsten Lobby. Nach den Straftätern und potenziell Infizierten sind das die Sozialhilfeempfänger, Flüchtlinge, Asylbewerber und Krankenversicherte.
Während der Corona-Zeit wurden in Australien Flugreisende und positiv Getestete zur Quarantäne in digitaltechnisch überwachte virtuelle Gefängnisse geschickt. Schon 2019 hat Australien seine Sozialhilfeempfänger ans digitale Gängelband gelegt. Sie bekamen das meiste Geld nur noch per digitaler Bezahlkarte. Bestimmte Produktgruppen konnten damit nicht bezahlt werden. Erprobt wurden die Techniken für Kontrolle des Ausgabeverhaltens in Flüchtlingslagern. Das Projekt wurde wegen Erfolglosigkeit eingestellt, hat sich aber international durchgesetzt. 2021 ging Indien den gleichen Weg, um sicherzustellen, dass Empfänger staatlicher Sozialhilfen das Geld nur im Sinne der Geldgeber ausgeben. Das System soll auf weitere staatliche Leistungen und Subventionen ausgedehnt werden. Griechenland folgte 2023, in Deutschland und anderen Ländern wurden die digitalen Bezahlkarten für Asylbewerber eingeführt. Neben Ausschluss bestimmter Gütergruppen sind damit auch regionale Begrenzung der Nutzung möglich.
Großbritannien ist uns aufgrund seiner politischen Nähe zum Machtzentrum der IT-Technokratie, den USA, in Sachen elektronische Überwachungsmaßnahmen ein paar Jahre voraus. Was dort eingeführt wird, blüht uns auch. Seien Sie wachsam, und vergessen Sie aktuell nicht bei ihrer Krankenkasse der Einrichtung einer elektronischen Patientenakte zu widersprechen.
https://apolut.net/grossbritannien-will-ueberwachung-mit-sensoren-am-koerper-einfuehren-von-norbert-haering/