Ist KI selbst der ultimative Deep Fake?
Ein alternativer Titel für diesen Beitrag hätte lauten können: „Was ich an KI am meisten mag“ – und die Antwort wäre: Ich mag, dass sie ehrlich benannt ist. Künstlich. Sie ist keine echte Intelligenz. Ich predige hier wahrscheinlich den Überzeugten, denn fast jeder, mit dem ich spreche – unabhängig von Alter oder Hintergrund –, ist der Meinung, dass eine Maschine nicht wirklich intelligent sein kann. Dennoch lohnt sich ein tieferer Blick – denn KI ist ohne Frage ein großes Thema, und es ist wichtig, zu verstehen, womit wir es zu tun haben – und womit nicht.
Diejenigen, die etwas zu gewinnen haben – durch Übertreibung, Angstmacherei oder eine grundsätzlich menschenfeindliche Haltung –, verbreiten weiter die Botschaft, dass „Computer bald viel intelligenter als Menschen sein werden“, dass „das Gehirn nur ein Fleischcomputer sei“ (so der verstorbene MIT-Computerwissenschaftler Marvin Minsky) oder dass KI den Großteil der Menschheit „überflüssig“ machen werde (wie Yuval Noah Harari meint).
Hört man dem medialen Hype zu, könnte man glauben, „die Experten“ seien sich einig, dass Maschinen den Menschen überlegen und auf dem Weg zu ungeahnter Intelligenz – ja sogar zu Bewusstsein – seien.
Sind wir, die wir an der Echtheit der KI-Intelligenz zweifeln, also Opfer einer Illusion? Offenbar nicht. Tatsächlich stehen eine ganze Reihe seriöser Expertenmeinungen auf unserer Seite.
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ELIZA – Die erste „KI“
Bereits in den 1970er-Jahren legte der MIT-Wissenschaftler Joseph Weizenbaum mit seinem Werk Computer Power and Human Reason das Fundament zur kritischen Auseinandersetzung mit Künstlicher Intelligenz.
In den 1960er-Jahren entwickelte Weizenbaum das Programm „ELIZA“, das in der Rolle eines Psychotherapeuten mit Nutzern kommunizierte. Obwohl er selbst nicht glaubte, dass Maschinen diese Rolle übernehmen könnten oder sollten, war er bestürzt über das Maß an Vertrauen, das Menschen in seine Schöpfung setzten. Diese Erfahrung veranlasste ihn zu einer zweijährigen Forschungsreise und schließlich zur Veröffentlichung seines Buches, in dem er klar machte: Menschliches Denken und Bewusstsein enthalten Dimensionen, die prinzipiell nicht „berechenbar“ sind. „Algorithmen plus Rechenleistung“ sind eben nicht dasselbe wie „Intelligenz“.
„Die Reaktion auf ELIZA zeigte mir auf dramatische Weise, wie stark ein selbst gut ausgebildetes Publikum dazu neigt, einer Technologie Eigenschaften zuzuschreiben, die sie gar nicht besitzt.“
Hier liegt der Kern des Problems: Es geht nicht darum, ob KI nützlich ist – sie ist es. Sie kann Programmcode schreiben, Verträge entwerfen, lange Texte zusammenfassen und „Deep Fakes“ erstellen. Sie ist gekommen, um zu bleiben. Die Frage ist: Wie intelligent ist sie wirklich? Und was dürfen wir von ihr erwarten?
Wir müssen anerkennen, dass menschliche Fähigkeiten grundsätzlich anders sind als maschinelle – und dass, wie Weizenbaum es ausdrückte, „nicht alles, was ein Computer tun kann, auch von einem Computer getan werden sollte“.
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The Emperor’s New Mind – Der Kaiser hat keine Kleider
1989 veröffentlichte Sir Roger Penrose sein Werk The Emperor’s New Mind. Seine These: Wir verstehen das Gehirn und das Bewusstsein noch viel zu wenig, um es technisch nachzubilden. Seine zwei stärksten Argumente:
- Echtes Denken geschieht oft jenseits von Sprache, Zahlen oder Symbolen – also jenseits dessen, was ein Computer je verarbeiten könnte.
- Viele Geistesblitze und kreative Erkenntnisse sind nicht das Ergebnis symbolischer Berechnung, sondern scheinen auf eine Verbindung zu „höheren Wahrheiten“ hinzuweisen – eine Anspielung auf Platons Welt der Ideen. Maschinen bleiben davon ausgeschlossen.
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Gesellschaft im Bild der Maschine
Stephen Talbott, ehemals Redakteur bei O’Reilly, widmete sich 1995 in The Future Does Not Compute der gesellschaftlichen Auswirkung der Computerkultur. Seine zentrale These: Die Beziehung zwischen Mensch und Technik – oder ihr Fehlen – formt unsere Zukunft. Je mehr wir in automatisierte Denkweisen verfallen, desto mehr verlernen wir das eigenständige Denken, Urteilen und Unterscheiden.
„Die rechnergestützte Organisation kann sich selbst aufrechterhalten – ohne waches, menschliches Eingreifen – mit einer internen Logik, die wir kaum begreifen.“
Talbotts düsterste Warnung: Totalitarismus kann in Zukunft ohne Diktator existieren. Die Systeme regeln sich selbst – unflexibel, unmenschlich, bürokratisch – und niemand ist verantwortlich.
Diese Warnung ist heute aktueller denn je: Überwachung, Standardisierung, der Verlust von Autonomie – und die Absurditäten, die sich aus unflexiblen, nicht hinterfragbaren Systemen ergeben.
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KI als Spiegel
Ironischerweise liegt gerade hier die größte Chance der KI: Sie zeigt uns unsere eigene Entfremdung. Sie verdeutlicht, dass Berechnung nicht Kreativität ist – und dass wir, wenn wir diesen Unterschied ignorieren, selbst verkümmern. Talbott formulierte es so:
„[Computertechnologie] ist die stärkste Einladung zum Einschlafen, die wir je erhalten haben.“
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Inseln im digitalen Strom
Kurz vor seinem Tod 2008 gab Weizenbaum ein Interview mit dem Titel Islands in the Cyberstream – „Inseln im Datenstrom“. Gemeint sind Menschen, nicht Orte. Menschen, die sich weigern, der „logischen Unvermeidlichkeit“ zu folgen. Menschen, die erkennen, dass Kreativität nicht aus Computation entsteht, dass Urteil mehr ist als Kalkül. Menschen, die sich dem digitalen Schlaf widersetzen.
Tulsi Gabbard wurde so eine Insel, als sie 2018 für papierbasierte Wahlen eintrat. Eltern, die ihren Kindern digitale Geräte verwehren. Bürger, die Barzahlung bevorzugen. Der Stadtrat von Madrid, der Tablets aus Grundschulen verbannt. Oder Nicholas Carr, der zeigte, wie das Internet unsere Aufmerksamkeit zerstört.
Weizenbaum glaubte, dass aus Inseln eines Tages Archipele und schließlich Kontinente werden könnten.
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Warum das alles zählt
Die Frage, ob Maschinen denken können, ist mehr als akademisch. Sie bestimmt unsere Erwartungen – an Technik und an uns selbst. Und diese Erwartungen entscheiden darüber, ob wir auf eine Welt zusteuern, in der der Mensch Technik beherrscht – oder von ihr beherrscht wird.
Und vielleicht ist deshalb der Begriff „Künstliche Intelligenz“ so ehrlich. Sie ist künstlich – und das sollten wir nicht vergessen. Die Verfechter von Transhumanismus und Milliardenprofite wollen, dass wir uns vor Maschinen fürchten – und uns fügen. Sie ändern den Begriff in „Maschinelle Intelligenz“, weil „künstlich“ zu ehrlich klang. Doch es ist zu spät.
Die Katze ist aus dem Sack.
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