Erstmals meldet die größte SPD-Landesgruppe im Bundestag Zweifel an Scholz als Kanzlerkandidat an. Zudem muss der Kanzler eine Schock-Umfrage hinnehmen.
Zuerst waren es nur Kommunal- und Landespolitiker. Dann schalteten sich erste Bundestagsabgeordnete in die Kanzlerdebatte in der SPD ein. Nun rückt auch die Spitze des ersten Landesverbands in Sachen Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz ab. Dabei meldete sich nicht irgendeine Landesgruppe: Mit der NRW-SPD bringt die größte und mächtigste Landesgruppe im Bundestag einen Wechsel des Kanzlerkandidaten ins Spiel: Verteidigungsminister Boris Pistorius statt Olaf Scholz.
Die Chefs der NRW-SPD-Landesgruppe, Dirk Wiese und Wiebke Esdar, schalteten sich laut eines Statements, über das die „Bild“-Zeitung berichtet, in die Debatte ein. Es gebe angesichts der personellen Aufstellung für den anstehenden Wahlkampf eine laute Diskussion an der Basis, so Wiese und Esdar. „Im Zentrum steht die Frage, was die beste politische Aufstellung jetzt für diese Bundeswahl ist. Dabei hören wir viel Zuspruch für Boris Pistorius“.
Die SPD-Landesgruppenchefs verwiesen zwar darauf, dass letztlich die Parteigremien entscheiden, dennoch kann das Statement der NRW-Sozialdemokraten als Fingerzeig gelesen werden.
Denn auch die Co-Chefin des NRW-SPD-Landesverbands (nicht zu verwechseln mit der Gruppe der NRW-Parlamentarier im Bundestag), Sarah Philipp, befeuerte die Diskussion: „Die Partei stellt sich für einen kurzen und intensiven Wahlkampf auf. Dass mit Olaf Scholz und Boris Pistorius gleich zwei Sozialdemokraten zugetraut wird, ein guter Kanzler zu sein, ist dabei eine Stärke“, sagte Philipp zu „Bild“.
Schäfer: „Habe eine Sondersitzung beantragt“
Das sorgte parteiintern umgehend für Spott. So veröffentlichte Oliver Moritz, SPD-Mitglied in NRW und Büroleiter des SPD-Landtagsabgeordneten Jochen Ott, sogleich ein Posting, in dem es hieß: „Mein Tipp, wer das Rennen um die Kanzlerkandidatur macht: Olaf Pistorius.“
Nicht jeder in der Landesgruppe scheint glücklich zu sein über die Verlautbarung der Vorsitzenden. „Dieses Statement der Vorsitzenden ist nicht in der NRW-Landesgruppe beschlossen worden“, sagte der nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer der Nachrichtenagentur Reuters am Abend. „Es ist missverständlich, schwächt den Bundeskanzler und hat bei den SPD-Bundestagsabgeordneten keine Mehrheit. Ich habe sofort für morgen eine Sondersitzung der NRW-MdBs beantragt.“
Offenbar scheint die SPD in der Tat gespalten, was die Frage der richtigen Wahl des Kanzlerkandidaten angeht. Auch wenn sich die Parteispitze längst für Scholz als Kandidat ausgesprochen hat, offiziell ist die Nominierung immer noch nicht. Das lässt Raum für Spekulationen und brachte einige in der SPD dazu, in den vergangenen Tagen vehement für eine rasche Festlegung in der Frage zu sorgen.
Walter-Borjans: „Scholz hat uns vor Bedrohlichem bewahrt“
So dringt etwa der frühere SPD-Chef Norbert Walter-Borjans auf eine schnelle Klärung. „Olaf Scholz hat unser Land in einer extrem schweren Zeit vor viel Bedrohlichem bewahrt“, lobte Walter-Borjans in der „Rheinischen Post“ einerseits den Bundeskanzler, der für seine Partei wieder als Kanzlerkandidat ins Rennen gehen will.
Andererseits schwächte Walter-Borjans seine vermeintliche Rückendeckung für den Kanzler aber auch gleich wieder etwas ab, indem er zu Bedenken gab: „Wahr ist aber auch, dass Merz nur mit einem Kanzler zu verhindern wäre, der auf den letzten Metern die Kraft aufbringt, selbstkritisch und nahbar den Unterschied deutlich zu machen. Das ist bisher Olaf Scholz‘ schwacher Punkt“, sagte er.