Coevorden – Mitten in der niederländischen Provinz Drenthe bereitet sich das Militär auf ein düsteres Szenario vor: den täglichen Umgang mit bis zu 80 Kriegstoten. In Coevorden läuft derzeit die größte Übung der Königlichen Landstreitkräfte des Jahres. Trainiert wird die schnelle, aber würdevolle Rückführung gefallener Soldaten – ein Einsatz, der sowohl logistisch als auch psychisch enorme Herausforderungen mit sich bringt.
Auf einem Übungsplatz lassen Soldaten mit Hilfe eines hydraulischen Arms ein Containerplattform mit grünen Leichensäcken von einem LKW ab. In weißen Schutzanzügen ziehen zwei Militärangehörige die 80 Kilogramm schweren Puppen, die menschliche Körper simulieren, vorsichtig vom Fahrzeug. In einem Zelt wird der „Leichnam“ inspiziert, identifiziert und dokumentiert. Was nach nüchterner Bürokratie klingt, ist in Wahrheit Teil eines sensiblen, belastenden Prozesses.
„Das ist das Gewicht eines durchschnittlichen Kameraden“, sagt einer der Ausbilder. „Wir trainieren hier für den schlimmsten Fall – eine große Zahl an Gefallenen, wie sie bei einem echten Krieg auftreten könnte.“ Die tägliche Verlustschätzung im Ernstfall liegt bei bis zu 80 Personen – darunter niederländische Soldaten, Koalitionspartner, möglicherweise auch Zivilisten und Feinde.
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Würde und Effizienz in Einklang bringen
Laut Oberleutnant Chris Zorge ist es das Ziel, die gefallenen Kameraden „so schnell und würdevoll wie möglich“ zurückzubringen. „Der erste Transportabschnitt erfolgt oft noch unter Bedrohung, zum Beispiel 150 Kilometer vom Frontgebiet entfernt. Erst dann werden die Leichen registriert und in Kühlcontainer gelegt – bereit für die Heimreise.“
Ein Flatrack-Container bietet Platz für bis zu 36 Tote. Doch im Ernstfall könnten diese Kapazitäten schnell überschritten werden. Daher wird das zuständige Spezialpeloton umfassend ausgebildet – mental wie praktisch. Für viele ist es ein erster, oft harter Kontakt mit der Realität des Krieges.
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„Ich tue dankbare Arbeit“ – Zwischen Trauma und Aufgabe
Zorge selbst war früher Bestatter und wurde von der Armee zurückgeholt. Nach seiner Erfahrung beim Bergen von Massengräbern im Kosovo weiß er, wie wichtig es ist, sich mental vorzubereiten. „Du musst dir immer wieder sagen: Ich tue etwas sehr Wichtiges. Ich helfe, Gefallene zu identifizieren und ihren Familien zurückzugeben. Das ist ein Dienst an der Menschlichkeit.“
Ein anderer Soldat, der anonym bleiben möchte, befürchtet, bekannte Gesichter unter den Toten zu erkennen. „Klar, das wird nicht leicht. Aber ich glaube, schlimmer ist es vorne im Gefecht, wenn du jemanden verlierst oder direkt sterben siehst.“ Noch hat er keine mentale Schulung durchlaufen – sieht diese aber als notwendig an: „Irgendwann musst du damit konfrontiert werden, bevor es ernst wird.“
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Militärische Realität üben – über das Gefecht hinaus
Die Übung „Bastion Lion“ simuliert nicht nur den Kampf, sondern auch die komplette logistische Versorgungslinie vom Heimatland bis zur Front. Oberst Tom Smit erklärt: „Wir trainieren nicht nur das Gefecht, sondern auch, was dahintersteht: Transport, Reparaturen, Verpflegung, Munition.“ Gleichzeitig geht es auch um feindliche Angriffe auf Nachschubzentren wie Coevorden – etwa durch russische Spezialeinheiten oder Raketen.
Der Übungsfokus auf Gefallene unterstreicht, dass Krieg nicht nur bedeutet, zu kämpfen – sondern auch, mit den schmerzhaften Konsequenzen umzugehen. Und diese werden in Coevorden so realistisch wie möglich durchgespielt.
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Vorbereitung auf den Ernstfall: Niederländische Armee trainiert Umgang mit 80 Kriegstoten pro Tag