Weil Deutschland durch Subventionen aus dem geplanten Sondervermögen einen Wettbewerbsvorteil erhalten würde, könnte die EU mit gemeinsamen Schulden reagieren. Für sogenannte Eurobonds würden dann alle Mitgliedsstaaten haften.
Weil Deutschland massiv Schulden für staatliche Subventionen etwa rund um Infrastruktur aufnehmen möchte, könnte das einen folgenschweren Wettbewerbsvorteil darstellen, heißt es in Brüssel. Während hierzulande ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für neue Schulden für Investitionen in die Infrastruktur aufgenommen werden soll, fehlt es anderen, bereits stark verschuldeten europäischen Staaten jedoch an Geld für derartige Förderprogramme.
Die Europäische Union könnte deshalb auf einen nicht unumstrittenen Trick zurückgreifen: gemeinsame Schulden im Euroraum. Das berichtet Politico unter Berufung auf Diplomatenkreise. Dafür könnten EU-Staatsanleihen, sogenannte Eurobonds, an die Finanzmärkte gebracht werden. Haften würden alle EU-Mitgliedsstaaten gemeinsam, profitieren könnten vor allem die ärmeren oder bereits hoch verschuldeten Länder, etwa Griechenland oder Italien.
Denn: Weil durch die EU-Haftung eine hohe Sicherheit besteht, sind die Zinssätze für diese Länder nicht so hoch wie bei der Ausgabe von eigenen und daher oft volatileren Staatsanleihen. Andersherum ist es bei wohlhabenderen Ländern wie Deutschland, die aufgrund der EU-weiten Berechnung höhere Zinssätze erwarten müssten, als bei den eigenen Staatsanleihen, also vergleichsweise weniger von einem solchen Vorgehen hätten.
Das von Union, SPD und den Grünen angepeilte Sondervermögen für Infrastruktur könnte in Europa also eine Kettenreaktion auslösen. Einerseits, weil die dafür notwendige Grundgesetzänderung – die am Dienstag vom Bundestag beschlossen wurde – einen weiten Spielraum ermöglicht und so Investitionen in Höhe von 1,7 Billionen Euro in alle möglichen Bereiche die Tür öffnet (Apollo News berichtete).
Und andererseits, weil der Verwendungszweck Infrastruktur auch die Energieversorgung Deutschlands einbezieht. In dem gemeinsamen Sondierungspapier haben sich Union und SPD bereits auf energiepolitische Maßnahmen verständigt: Die Stromsteuer soll „auf das europäische Mindestmaß“ gesenkt, die Netzentgelte dauerhaft gedeckelt und eine Ausweitung der Strompreiskompensation „auf weitere energieintensive Branchen“ ermöglicht werden, heißt es da beispielsweise.
Mit anderen Worten: Deutschlands Energieversorgung mit günstigem Strom soll auch durch staatliche Intervention und Subventionen gesichert werden. Mit hunderten Milliarden Euro könnte Deutschland somit die Strompreise im Inland senken, durch die hohe Neuverschuldung aber eben auch am europäischen Binnenmarkt großzügig zugreifen. Deutschland könnte diese Momentaufnahme – denn nachhaltig wird das Sondervermögen nicht ausreichen – dann auch nutzen, um ausländische Firmen mit vermeintlich niedrigen Energiepreisen zu locken.
Darauf haben sich Union und SPD im Sondierungspapier geeinigt. Sie wollen internationale Schlüsselindustrien, beispielsweise die „Halbleiterindustrie, Batteriefertigung, Wasserstoff oder auch Pharma“ in Deutschland ausbauen. Ermöglicht wird das aber eben nicht durch ein natürliches Wirtschaftswachstum und niedrige Preise – immerhin steckt Deutschland seit zwei Jahren in einer Rezession, immer mehr Unternehmen wandern ab –, sondern allein durch das Sondervermögen.
Das bringt der Bundesrepublik für die nächsten Jahre aber den entscheidenden Vorteil, denn andere Länder können sich das Werben um derartige Schlüsselindustrien eben nicht leisten. Der Ausweg über Eurobonds bleibt zwar nicht ohne Gegenwind, gilt dennoch als mögliche Option der EU, um auf die massive Neuverschuldung Deutschlands zu reagieren.
Bisher nahm die Bundesrepublik eine Vorbildfunktion in der EU ein. Die Staatsverschuldung liegt derzeit bei etwa 62 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, also ungefähr 2.700 Milliarden Euro, und damit weit unter den Quoten anderer großer Volkswirtschaften wie Großbritannien, Frankreich oder Italien, wo die Verschuldung mittlerweile 100 Prozent, 114 Prozent und sogar 135 Prozent beträgt. In diese Hemisphären könnte jetzt aber auch Deutschland vordringen.
Allein das in Rede stehende Sondervermögen plus mögliche 400 Milliarden Euro für die Bundeswehr könnten die Staatsverschuldung hierzulande auf 85 Prozent hochschnellen lassen, damit würde Deutschland bereits den EU-Durchschnitt von 82 Prozent überbieten. Denn durch die Schuldenpläne sollen neben den 500 Milliarden Euro für Infrastruktur auch Verteidigungsausgaben ab einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts an der Schuldenbremse vorbei getätigt werden können.
Und weil die Grünen ihre Zustimmung für die notwendige Grundgesetzänderung auch von einer Ausweitung des Verteidigungsbegriffs abhängig machten, sind eben auch neue Schulden von bis zu 1,7 Billionen Euro möglich. Damit könnte Deutschlands Staatsverschuldung auf 4.400 Milliarden Euro ansteigen. Die Verschuldungsquote würde außerdem auf über 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hochschnellen. Deutschlands Vorbildfunktion wäre dahin, die restlichen EU-Mitgliedsstaaten könnten nachziehen oder eben über gemeinsame Schulden durch Eurobonds profitieren.
Erstmals diskutiert werden könnte das Thema am Freitag, wenn der Europäische Rat für Besprechungen über die Wettbewerbsfähigkeit der EU in Brüssel zusammenkommt. Ebenjene entscheidende Schwerpunkte, „Vereinfachung, Energie und die Spar- und Investitionsunion“ sollen in diesem Kontext diskutiert werden. Weil aber noch Olaf Scholz als Staatsoberhaupt anreisen wird, könnte sich Deutschland aus der Debatte zunächst zurückhalten – immerhin war es Friedrich Merz, der die Neuverschuldung in die Wege leitete.
Wegen Sondervermögen: EU überlegt jetzt selbst massiv Schulden aufzunehmen